Der harzige Duft von Tannen liegt in der Luft, leises Rauschen der Baumwipfel im Wind, das Nachgeben des Waldwegs unter den Füßen, ein Specht klopft in einiger Entfernung, macht einen Moment Pause, klopft wieder. Beim Wandern hat man Gelegenheit, in sich zu gehen und die Wunder der Natur zu genießen.

Eine Wanderung im Wald ist etwas Besonderes. Du gehst mal auf elastischem Nadelpolster, mal auf eher steinigem Weg. Es duftet nach Nadeln, nach Moos, nach süßlichen Blumen, nach Harz. Der Specht klopft, der Kuckuck ruft, der Wind säuselt, ein Bach gluckert. Sonne streichelt deine Haut, der Wind dein Haar. Du atmest tief, schmeckst die Luft, die Sonne. Gleichmäßig setzt du einen Fuß vor den anderen, umfängst mit den Blicken Buschwindröschen und Brombeerranken, hohe Tannen, krumme Kiefern, mächtige Buchen. Eine Wanderung im Wald spricht alle Sinne an.

Wandern allein

Chris ist Mutter von zwei Töchtern in der Pubertät und hat als Werbefachfrau einen anstrengenden Berufsalltag. Durch Termindruck und Konkurrenzsituationen baut sich eine Menge Druck auf. Vor ein paar Jahren hat Chris angefangen, sich systematisch einen Vormittag in der Woche freizuhalten. Für die Natur.

Zuerst hat sie in ein Fitnessstudio gehen wollen, aber da geriet sie schnell wieder in eine Drucksituation, weil sie sich beobachtet fühlte. Dann wollte sie joggen gehen, aber nach zwei Probeläufen ließ sie es bleiben, weil ihr die Knie wehtaten. Am nächsten Dienstagmorgen zog sie sich die Turnschuhe über, fuhr zwanzig Minuten zum nächsten Wanderparkplatz und lief relativ ziellos los.

Chris geht mit strammen Schritten, atmet tief ein und aus, lässt die Gedanken wandern. Mit der Zeit sieht sie aufmerksamer um sich, bleibt einmal stehen, um ein Eichhörnchen zu beobachten, wirft einen Blick seitlich über die Lichtung auf eine Birke, die ihre Äste hängen lässt wie lange Haare. Der Alltag fällt ab von ihr. Inzwischen geht sie geplanter, hat eine App, die ihr neue Rundwege vorschlägt, studiert Wege vorher auf der Landkarte. An manchen Wochenenden wandert inzwischen die ganze Familie zusammen, dann mit Picknick im Freien.

Wandern in der Gruppe

Brigitte lebt alleine. Sie arbeitet ebenfalls in sitzender Tätigkeit. Dafür, dass sie auch keinen Sport betreibt, ist sie erstaunlich fit. Jedes Wochenende verabredet sie sich mit ihren Freundinnen Angelika und Gudrun für eine Wanderung. Die drei bevorzugen breitere und etwas flachere Wege, da Angelika an Arthrose in den Knien leidet. Angelika wandert mit Stöcken, um die Knie dadurch zu entlasten. Die drei studieren unter der Woche in der Tageszeitung und in Illustrierten die Wandervorschläge und suchen sich Touren, die zu ihnen passen, aus. Dann ziehen sie fröhlich schwatzend los, schweigen auch einmal eine Weile, machen sich auf Naturschönheiten aufmerksam und ziehen weiter. Gerne beenden sie ihre Tour in einem Café, wo sie sich jede ein schönes Stück Kuchen gönnen.

Wandern ist gesund

Wandern ist gesund. Der Mensch ist nicht zum Sitzen gebaut, sondern zum Gehen. Und gerade darum tut Gehen so gut. Beim Gehen wird die gesamte Haltemuskulatur des Körpers trainiert, im Bereich der Beine dazu noch Knochen, Gelenke, Sehnen und Bänder. Dadurch wird der Bewegungsapparat stabiler und der Mensch ist weniger verletzungsgefährdet. Aber Wandern ist auch gut für die Seele.

Wenn du wanderst, entfernst du dich vom Alltag. Du bist eine Weile geschützt vor der täglichen Reizüberflutung, dem Termindruck, dem Tempo des Alltags. Deine Augen fixieren nicht einen Punkt auf dem Bildschirm, sondern sie können sich im Wandern über die diversen Eindrücke ausruhen. Die Ohren erlauschen leisere Geräusche als sonst. Das Auge weidet sich am Grün der Natur, verliert sich am Horizont. Schon der Anblick von Natur ist nachweisbar gut für die Seele. Alle Sinne werden angesprochen. Die Haut spürt die Sonne und die Luft, die Füße den Boden. Der Puls normalisiert sich, der Kortisolgehalt im Blut sinkt – Entspannung wird wissenschaftlich fassbar.

Wähle deine Tour

Wenn du von diesen gesundheitlichen Vorzügen profitieren willst, dann wandere. Wandere auf deine Art. Passe die Strecke in Länge und Verlauf deinen körperlichen Voraussetzungen an. Wer Knieprobleme hat, sollte nicht steil bergab gehen. Wer wenig Kondition hat, wählt eine kürzere Strecke. Wandern lässt sich einfach und langsam steigern. Suche dir die Gegend aus, die dir gut tut. Das spürst du ganz schnell. Es gibt Menschen, für die gibt es nichts, was sie mehr auftanken lässt, als der Blick über das Meer – diese Weite, diese Urgewalt nimmt sie gefangen und tut ihnen gut.

Es gibt die Menschen, für die kann es nicht steil und karg genug sein. Wenn sie keuchend einen Berg hinaufgekraxelt sind und nun den Blick vom Gipfel genießen können, geht es ihnen gut. Sie haben die Sorgen sprichwörtlich im Tal gelassen. Oder bist du der Typ, der liebliche Landschaften mit grünen Bäumen und bunten Blumenwiesen liebt? Wähle „deine“ Wanderung aus, und schon kann es losgehen.

Gedanken sortieren

Unser Tipp: Geh doch mal alleine los! Das Erlebnis ist nochmal ein ganz anderes. Du schaltest viel besser vom Alltag ab, hörst nicht einem noch so interessanten oder lieben Gesprächspartner zu, sondern auf die Geräusche der Landschaft. Bist du schon einmal über eine Blumenwiese gegangen, die einfach selber zu summen und zu vibrieren scheint vor Insekten? Hast du Sand zwischen den Fingern rieseln lassen oder die raue Rinde der Eiche gestreichelt? Das melodische Gluckern eines Bächleins heimlich belauscht oder am Aufprallbecken eines Wasserfalls gestanden und dich von der Gischt einhüllen lassen? Nein? Dann ist es immer noch Zeit, dies nachzuholen. Das Alleinsein mit dir selber und der Natur gibt dem Wandern noch einmal eine ganz andere Qualität. Du darfst die Natur erleben – und du musst dich selber aushalten.

Ganz egal, ob du den Frust aus dem Job, die Erziehungsprobleme, die Beziehungskrise oder ’nur‘ deine Probleme mit dir selber loswerden musst: lauf einfach. Sieh den Ameisen beim Durcheinanderwuseln zu und horche auf den Wind in den Wipfeln. Betrachte den Pilz, die wandernden Wolken am Horizont, die wandernden Schatten. Rieche, spüre, sieh, lausche – und laufe.

Wenn du eine Weile gelaufen bist und die Natur auf dich wirken durfte, merkst du, wie sich ganz von alleine deine Gedanken zu sortieren beginnen und du dir klarer über eigene Wünsche und Gefühle wirst. Manches wird mit ein wenig Abstand so unwichtig und manche Entscheidung so klar. So eine Wanderung ganz alleine hat schon bei so mancher Problemlösung geholfen.

Du gehst weiter, atmest tief durch und kannst dich jetzt in Ruhe anderen Dingen zuwenden. Den Brombeeren am Wegrand, der kleinen Waldmaus, die am Pilz knabbert, den einzelnen Regenspritzern vielleicht auch, aber die sind gerade jetzt gar nicht so störend. Du gehst, spürst dich und bist frei. Und jetzt: Schnür deine Schuhe, pack den Rucksack und geh raus. Ab in die Natur!

Eine Übung

Wie wäre es mit einer Achtsamkeits-Übung in einer Pause? Schließe die Augen. Spüre den Boden unter deinen Füßen. Stell dir vor, deine Füße schlagen Wurzeln. Jetzt spüre die Luft an deinen Wangen. Ist sie warm heute oder eher kühl? Sauge die Luft in dich auf, atme tief ein und aus. Verliere die Wurzeln nicht. Und lausche: Was hörst du? Bäume? Eine ferne Straße? Wasser? Stimmen? Atme wieder tief ein, sauge den Duft in dich auf. Was riechst du? Süße Blumen? Beeren? Harz? Die feuchte Erde? Deine Wurzeln reichen tief in die Erde, spüre die Erde. Schwinge ein wenig um deine innere Achse. Spüre die Wurzeln. Komm wieder zur Ruhe. Atme noch einmal tief …

Öffne die Augen wieder. Sieh dich um. Wo bist du? Wie fühlst du dich?

Wusstest du, dass es Studien gibt, die zeigen, dass Wandern den Verlauf einer Demenz verlangsamen kann? Auch für Diabetiker ist Wandern genial. Die körperliche Betätigung sorgt dafür, dass Insulinzellen produziert werden. Andererseits kann plötzliche körperliche Belastung Unterzuckerung hervorrufen. Moderate Belastung auf Dauer wie beim Wandern ist optimal. Übrigens geht vom Wandern auch eine antidepressive Wirkung aus. Aber das wundert uns eigentlich schon gar nicht mehr nach dem, was wir über die Wirkung auf die Seele gelesen haben.

Dieser Artikel stammt aus dem AUSZEIT-Magazin, das noch viele weitere tolle Themen für Euch bereithält. Hier klicken!

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Bildquellen: Photo by Larisa Birta on Unsplash