Im Grunde ist Ayurveda eine traditionelle indische Heilkunst, hervorgegangen aus medizinischen Prinzipien der vedischen Epoche ab der Mitte des 2. Jahrtausends vor Christus. Aber für Menschen unserer stressgeplagten westlichen Kultur kann Ayurveda viel mehr sein als das. Es kann die Basis für einen ausgeglichenen, auf Harmonie und Ganzheitlichkeit beruhenden Lebensentwurf darstellen.

Ayurveda bedeutet „Wissen über das Leben“, und damit ist schon viel gesagt. Die traditionelle Heilkunst ist beileibe kein nostalgisches Phänomen, das von uns westlichen Menschen wieder ans Tageslicht gezerrt wurde. Bis zum heutigen Tag ist Ayurveda in Indien, Nepal und Sri Lanka ein fester Bestandteil des Gesundheitswesens. Die Heilmethode ist im asiatischen Raum eine wissenschaftlich fundierte Disziplin. Es gibt Forschungsinstitute und universitäre Ausbildungsgänge, die Ayurveda in Asien zu einem offiziellen Bestandteil der Schulmedizin machen.

Tiefe Weisheit mit Ayurveda

In unseren Breiten hat sich Ayurveda anfangs als Wellness-Anwendung mit zeitgeistigem Charakter etabliert. Zunehmend erkennen aber auch Menschen in westlichen Ländern das immense Potenzial, das die Heilmethode auf therapeutischem Gebiet vorweisen kann. Immer mehr etabliert sich die Erkenntnis, dass das indische Heilkonzept auch bei ganz konkreten gesundheitlichen Problemlagen effektive Hilfe bringen kann.

Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass Ayurveda nach westlichen, evidenzmedizinischen Kriterien zumindest formell noch nicht vollständig anerkannt ist. Interessanterweise gehört Ayurveda aber zu den wenigen alternativen Methoden, bei denen das keine Rolle spielt. Keine der enthaltenen Methoden und Techniken widerspricht schulmedizinischen Erkenntnissen, sie können also klassische medizinische Anwendungen nicht behindern oder gefährden. Und die tiefe Weisheit und Vernunft des Ayurveda spricht für sich und macht seine Anwendung so sinnvoll.

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Ayurveda

Ayurveda ist keine therapeutische Maßnahme wie beispielsweise Krankengymnastik oder Stoßwellentherapie. Es handelt sich um ein ganzheitliches System aus dem Bereich der Alternativmedizin. Der Begriff Ayurveda ist eine Wortbildung aus den Elementen Ayus (Leben) und Veda (Wissen). Die Bezeichnung deutet bereits darauf hin, dass es sich nicht um eine rein funktionelle medizinische Disziplin handelt. In Ayurveda kommen Erkenntnisse aus den Bereichen Physiologie, Emotion, Philosophie und Spiritualität zusammen. In ihrer Zielsetzung konzentriert sich Ayurveda dabei auf all jene Aspekte, die sich auf die Gesundheit auswirken.

Zentrale Ayurveda-Elemente

Einen wichtigen Grundsatz hat der Ayurveda-Experte David Frawley treffend beschrieben: „Alles, was wir selbst für unsere Gesundheit tun können, ist wirksamer als das, was andere für uns tun.“ Aus dieser Sicht erhält auch ein anderes ayurvedisches Prinzip seine Berechtigung, wonach die Krankheit als höchste Form der Askese gilt. Auf dieser philosophischen Grundlage bauen auch die wesentlichen Elemente von Ayurveda – wie etwa die Pflanzenheilkunde, das spirituelle Yoga, die Reinigungs- oder auch die Ernährungslehre – auf.

Die ayurvedische Lehre teil die Menschen in drei Typen – die Doshas – ein, die drei unterschiedliche Lebensenergien beschreiben:

Vata – das Prinzip der Bewegung. Es steht für Wind, Luft, Äther.

Pitta – das Prinzip des Feuers und des Stoffwechsels. Es steht für Feuer und Wasser.

Kapha – das Prinzip der Struktur. Es steht für Erde und Wasser.

Interessant ist die Bedeutung des Begriffs Dosha. Er bedeutet „Fehler“ oder „Fehlerpotenzial“. Das beschreibt den großen Unterschied von Ayurveda zu den meisten anderen Heilkünsten. Die Typen beschreiben nicht nur die herausragenden Eigenschaften der jeweiligen Gruppe, wie man das von anderen Lehren her kennt, sondern sie definieren auch deren Schwächen und Problemlagen, um diese dann gezielt anzugehen.

Zentrale Ayurveda-Elemente

– Ayurveda-Massage
– Ayurveda-Reinigungstechniken
– Spirituelles Yoga
– Ernährungslehre
– Pflanzenheilkunde
– Die drei Typen des Ayurveda

Eine Frage der Balance

Die Probleme innerhalb der einzelnen Typen entstehen durch Ungleichgewicht. In einem gesunden Körper befinden sich alle Energien in einer harmonischen Balance. Die Doshas beschreiben auch, wie in den verschiedenen Typen die Balance auf jeweils eigene Art gestört sein kann. Das wesentliche Element der ayurvedischen Diagnostik ist es, beim Patienten das Dosha festzustellen, dem er angehört. In vielen Fällen weisen Patienten auf zwei Doshas auf. Nur in seltenen Fällen sind alle drei Doshas gleichwertig vorhanden.

Im folgenden schauen wir uns einmal die Kriterien der einzelnen Doshas an.

Vata

Vata beschreibt Menschen mit schlankem Körperbau und geringem Gewicht. Sie bevorzugen Mobilität und Flexibilität, was in eine Lebensführung mündet, bei der die Dinge permanent in Bewegung sind. Vata-Menschen sind wissbegierig und lieben die Veränderung. Diese Eigenschaften paaren sich mit Kreativität und schneller Auffassungsgabe. Eine tendenziell chaotische Grundeinstellung und Redegewandheit vervollständigen das Bild.

Sind die Energien beim Vata-Menschen in der Balance, haben wir es mit einer lebhaften, kommunikativen Person mit wechselhaftem Appetit und unregelmäßiger Verdauung zu tun, die keine Kälte mag und stattdessen die Wärme sucht. Der Vata-Mensch ist tendenziell sprunghaft und sensibel. Da er gerne in Bewegung ist, liebt er es, zu reisen.

Herrscht Ungleichgewicht vor, leidet die Ausdauer, insbesondere das Durchhalten bei begonnen Projekten. Dafür steigt die Tendenz zur Konzentrationslosigkeit und Ablenkung, gepaart mit Nervosität und Ruhelosigkeit. Nervöse Angstzustände und Schlaflosigkeit sind die Folge.

Pitta

Einen Pitta-Menschen erkennt man an seiner durchschnittlichen Figur und seinem Selbstbewusstsein. Auch Entscheidungsbereitschaft gehört zu seinen Vorzügen. Personen des Typs Pitta sind oft beeindruckende und dynamische Persönlichkeiten mit einem hohen Energiepotenzial bei Körperkraft und geistiger Leistungsfähigkeit. Die Schattenseite ist die Neigung zu übersteigerter Dominanz und Selbstüberschätzung. Dass sich solche Menschen gerne Herausforderungen und dem sportlichen Wettkampf stellen, ist verständlich.

Im Gleichgewichtszustand nutzt der Pitta-Typ seine typischen Stärken Scharfsinn, Ehrgeiz, Intelligenz und Eloquenz. Er verfügt über starke Energie und ein hohes Organisationstalent. Sein Appetit ist in der Regel gut.

Im Zustand der Dysbalance neigt der Pitta-Mensch zu Jähzorn, Gereiztheit und Eifersucht. Schlecht ausbalancierte Pitta-Typen tendieren dazu, sich selbst zu überfordern und leiden oft an Hitzewallungen, Magengeschwüren, Sodbrennen und Entzündungen, die meist im Augenbereich auftreten. Dauert das Ungleichgewicht längere Zeit an, manifestiert es sich in vorzeitigem Ergrauen, gefolgt von Haarausfall.

Kapha

Der Kapha-Typ zeichnet sich durch seinen korpulenten Körperbau und seine stoische, geduldige Art aus. Es lässt sich nicht von Hektik anstecken und verfügt über eine hohe Stressresistenz. Die vorherrschenden Charaktereigenschaften sind Sanftmut, ein Mangel an Streitlust und Seelenstärke – die idealen Voraussetzungen, um Freundschaften zu schließen. Kapha-Menschen lieben die Sonne und die Wärme ebenso wie Farben und das Wasser.

Der Zustand des Gleichgewichts äußert sich bei einem Kapha-Menschen durch Geduld, Ausdauer, Methodik und einen Hang zum Tüfteln. Kapha bedeutet auch die Neigung zum Organisieren und eine Affinität zu Regelmäßigkeit und Stabilität. Kapha-Menschen sind Genießer. Sie haben einen gesunden, ausdauernden Schlaf und lieben das Essen, was ja auch durch die Statur zum Ausdruck kommt.

Ein Kapha im Ungleichgewicht zeigt einen Hang zu Langsamkeit, Neid und Besitzstreben, gepaart mit Gier. Die Tendenz zu langsamer Verdauung und Verschleimung im Kopf- und Brustbereich steigt an. Vermehrte Trägheit vervollständigt das Bild.

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Die drei Doshas

Vata – das Prinzip der Bewegung. Es steht für Wind, Luft, Äther.
Pitta – das Prinzip des Feuers und des Stoffwechsels. Es steht für Feuer und Wasser.
Kapha – das Prinzip der Struktur. Es steht für Erde und Wasser.

Ayurveda-Behandlung

Das Ziel einer ayurvedischen Behandlung ist es, die Balance der drei Doshas wieder herzustellen. Dazu muss der Behandelnde beim Patienten zunächst das tatsächlich vorhandene Verhältnis der Doshas feststellen. Er führt zunächst die Blickdiagnose und eine Befragung durch, gefolgt von Nadivigyan, also der Pulsdiagnose nach ayurvedischen Prinzipien.

Für die endgültige Ermittlung des richtigen Dosha-Verhältnisses – die Prakriti-Analyse – ist zusätzlich ein astrologisches Horoskop des Patienten erforderlich, das ebenfalls der Behandler erstellt. Nun erfolgt die Entwicklung der Therapie, um die Balance herzustellen und angesammelte Schlacken auszuleiten. Eine ayurvedische Therapie ist in der Regel eine Kombination aus Pflanzenheilkunde, Ordnungstherapie, Ernährungstherapie und Panchakarma, einem speziellen, sehr komplexen Reinigungsverfahren. Es beinhalten Bäder und Einläufe, aber auch Fasten, therapeutisches Erbrechen und Aderlass. Komplettiert wird Panchakarma durch Yoga, Atemübungen, Massagen, Musik– und Farbtherapie und einer Reihe ayurvedischer Arzneimittel.

Den eigenen Weg gehen

Das Ziel von Ayurveda ist es, die für das Leben essenziell notwendige Einheit von Körper, Seele, Sinne und Verstand wiederherzustellen. Zur Philosophie der ayurvedischen Ganzheit gehört auch die Krankheitslehre. Das Ziel von Ayurveda ist es, ernsthafte Erkrankungen bereits im Vorfeld zu vermeiden. Ayurvedische Behandler versuchen, den Krankheitsauslöser zu verstehen, frühe Anzeichen zu erkennen und der Krankheit die Grundlage für den Ausbruch zu entziehen. Dieses Ganzheitsprinzip ist die Basis des Ayurveda und bietet die Orientierung, die zum Beschreiten des eigenen Weges erforderlich ist. Die Nahrung steuert das Wachsen und den Verfall des Menschen und seiner Bestandteile. Ayurveda weist einen Weg, die Balance in diesem Kreislauf wiederherzustellen, damit unser Lebenskompass nachhaltig in Richtung Gesundheit weist.

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Das Feuer in uns

Ayurveda ist inzwischen in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen, sagt Kerstin
Rosenberg,
und sie muss es wissen. Wir haben die Ayurveda-Expertin nach dem inneren Feuer und seiner Bedeutung für uns befragt.

Wie hilft uns Ayurveda, für das Richtige und im richtigen Maße zu brennen?

Als traditionelle Heilkunde basiert Ayurveda auf der Lehre der fünf Elemente (mahabuthas). Das Feuerelement wird dabei verbunden mit allen Umsetzungs- und Transformationsprozessen auf körperlicher und intellektueller Ebene. Brennt unser inneres Feuer auf richtige Weise, so können wir alles, was wir von außen über die Sinnesorgane aufnehmen – von Nahrung, Umgebung bis Wissen – zu Eigenem, Innerem verarbeiten. All dies wird durch das Feuer ein Teil von uns selbst. 

Können Sie uns ein paar Beispiele dafür nennen, was dies konkret für unsere Ernährung bedeutet?

Eine ayurvedische Konstitutionsbestimmung beinhaltet immer eine umfangreiche Analyse des individuellen Stoffwechsels mit darauf abgestimmten Ernährungs- und Verhaltensempfehlungen. Leiden wir unter einem schwachen Verdauungsfeuer (Manda Agni), so können wir dieses mit anregenden Gewürzen wie Ingwer, Pfeffer oder Senfsamen verstärken. Auch leichte, trockene und erhitzende Nahrungsmittel, wie beispielsweise Blattgemüse oder Sesam, helfen den Stoffwechsel anzuregen. Brennt das Feuer hingegen zu stark (Tikshna Agni), so benötigen wir kühlende und beruhigende Substanzen wie Koriander, Kardamom oder Kokosnuss. 

Wie wird Ayurveda als Lehre ihrer Erfahrung nach bei uns angenommen, wie sind Ihre Erfahrungen, die Sie in dieser Hinsicht mit Ihrer Akademie in Birstein bis jetzt gemacht haben?

Ayurveda ist in der Mitte unserer Gesellschaft längst angekommen und das Interesse wächst stetig. Gerade die typgerechte Betrachtung des Menschen mit seinem körperlichen und mentalen Persönlichkeitspotenzial und Krankheitsneigungen fasziniert und ermöglicht individuell abgestimmte Präventions- und Therapiekonzepte, die das Wohlbefinden auf körperlicher, geistiger und seelischer Ebene nachhaltig fördern. In den 30 Jahren seit ihres Bestehens hat unsere Akademie viele Menschen inspiriert, ihr Leben durch Ayurveda wesentlich zu bereichern und sie ermutigt, dieses Feuer an andere weiterzugeben. 

Kerstin Rosenberg ist eine international bekannte Ayurveda-Expertin, Buchautorin und Dozentin. Sie hat viele Ayurveda-Bücher geschrieben und bildet Ayurveda-Ernährungsberater, Gesundheitscoaches und Ayurveda-Therapeuten aus. Gemeinsam mit ihrem Mann leitet sie die renommierte Europäische Akademie für Ayurveda mit angeschlossenem Kur- und Kompetenzzentrum in Birstein, Hessen.

www.ayurveda-akademie.org
www.rosenberg-ayurveda.de

Marion Herder

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