Was Neues? Vor knapp zwei Jahren habe ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Wohnmobil geschlafen. Ja, mit 33 Jahren, am Ende des zweiten Lockdowns und mitten in der Pandemie, campte ich zum ersten Mal bei meiner guten Schulfreundin Annjana im Garten und gelte damit in Bezug auf Campen wohl als ein echter „Late Adopter“.

Eigentlich gab es an dem Abend überhaupt keinen Grund im Wohnmobil zu schlafen: ich wohne nur eine knappe halbe Stunde entfernt von meiner Freundin und ich wäre auf jeden Fall noch problemlos nach Hause gekommen. Viel eher war es so, dass ich diesen Tag einfach Lust auf etwas Neues hatte. Ich hatte noch nie zuvor gecampt oder gezeltet, meine Freundin hingegen ist begeisterte Surferin und deshalb häufig im Wohnmobil unterwegs. Als sie mich dann fragte, brauchte ich gar nicht lange zu überlegen und hüpfte entschlossen in den Wagen. Es schlief sich gut unter den Urlaubsfotos meiner Freundin, voll mit Erinnerungen ihrer vergangenen Surftrips, sodass auch bei mir fast ein bisschen Urlaubsflair aufkam, nur wenige Meter vom Zuhause meiner Eltern entfernt. 

Ich habe seit dieser Erfahrung übrigens nicht noch mal gecampt. Einfach, weil ich dafür keine Zeit finden konnte und ich meinen Urlaub meistens anders verbringe. Das finde ich aber gar nicht weiter schlimm. Wichtiger, als dass die neue Erfahrung zum nächsten Hobby wird, ist meiner Meinung nach, dass wir uns überhaupt auf Neues einlassen. Mit solchen neuen Erfahrungen können wir unseren Horizont stetig weiterentwickeln und innerlich wachsen. Fürs dieses Jahr habe ich deshalb auch schon Pläne abseits des Alltags: ich möchte endlich mal Kiten ausprobieren und einen Podcast starten. 

Was mich an dem Abend – und sogar noch am Tag danach – verzückte, war nicht nur das Gefühl, in einem Auto aufzuwachen, sondern vor allem die Tatsache, dass ich endlich mal wieder etwas Neues kennengelernt hatte. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, schreibt Hermann Hesse und meint damit nicht nur die Endorphine, die Frischverliebte in einer sich anbandelnden Beziehung produzieren. Wieso aber lassen wir uns, je älter wir werden, eben diesen Zauber nehmen und so viele Tage verstreichen, ohne sie in ihrer Neuartigkeit und alldem, was sie an Möglichkeiten bereithalten, zu würdigen? 

Warum neue Erfahrungen glücklich machen

Neue Erfahrungen abseits des Alltags sind aufregend, machen glücklich und lassen uns lebendig fühlen. Durch Unbekanntes, so Studien, wird der Hippocampus, eine Region im Hirn, die für emotionale Erinnerungen und Eindrücke zuständig ist, aktiviert. Je mehr der Hippocampus durch ein Ereignis aktiviert wird, desto besser können wir uns später daran erinnern. Das erklärt, warum schier ewig zurückliegende Kindergeburtstage und Urlaube aus der Jugend uns immer noch so präsent im Gedächtnis sind: Sie haben uns bewegt und Eindruck hinterlassen. Gleichzeitig wird mit neuen Erfahrungen auch das Belohnungszentrum aktiviert, das uns glücklich machende Hormone ausschüttet. Das zeigt auch eine Studie der National Science Foundation (https://beta.nsf.gov/news/new-diverse-experiences-linked-enhanced-happiness).

Im Alltagstrott gefangen

Vielleicht, weil wir leider doch so oft immer wieder nur dasselbe mit den noch nie dagewesenen Tagen anfangen. „Métro, boulot, dodo“, sagen die Franzosen dazu und meinen damit den Rhythmus des Alltags, bestehend aus Pendeln zum Büro, Arbeiten und Schlafen. Da bleibt nicht viel Zeit für Spannung, der Fluch des Erwachsenenalters.

Wenn wir jung sind, sieht die Sache noch anders aus: Da ist das Leben noch voller neuer Erfahrungen, von Neuanfängen und unbekannten Episoden. Der erste Schrei, die ersten tapsigen Schritte auf dem Küchenboden, der erste Schultag, der erste Liebeskummer, das erste Mal Alkohol… Nach dem Schulabschluss, der Ausbildung oder Uni und dem Eintritt in das Berufsleben stagniert das Leben dann immer mehr. Neues wird immer seltener, wirklich einschneidende Ereignisse gibt es kaum noch, mit Ausnahme von einigen Hochzeiten und Jobwechsel dann und wann, Hauskauf, Kinder. Wie soll man sich da noch verzaubern lassen?

Die Antwort: Indem wir jeden Tag als das sehen, was er ist – als neuen Anfang. Jeder Tag, so gewöhnlich er auch scheint, besteht aus unendlich vielen Momenten, die es so zuvor noch nicht in unseren Leben gab. Jeder Tag, so belanglos er uns auch erscheinen mag, ist einer dieser Tage, auf die wir uns in der Vergangenheit gefreut und auf die wir hingearbeitet haben Viel zu oft heißt es noch: „Nächstes Jahr, wenn ich meinen Führerschein habe und im Ausland bin…“

Nein. Der Moment ist jetzt – wir müssen nur etwas dafür tun, unseren Tagen den nötigen Feenstaub zu verleihen. Das kann der herrliche Sonnenaufgang auf der morgendlichen Laufrunde sein, die ersten Sonnenstrahlen im Frühling, oder der abendliche Spaziergang im winterlichen Dunkel, auf den wir uns ausnahmsweise wagen, anstatt wie sonst auf dem Sofa fernzusehen. Solche neuen Erfahrungen, die uns dazu animieren, den Moment wahrzunehmen, ganz im „Hier und Jetzt“ zu sein, wirken auf die Seele wie ein Feuerwerk. 

Neuanfang macht glücklich

Das zeigt auch eine recht aktuelle Studie der National Science Foundation, welche die Wirkung von neuen und vielfältigen Erfahrungen auf unser Glücksgefühl untersucht. Neue Erlebnisse sorgen für solche Gefühle, indem sie die Gehirnaktivität steigern. Neuheit wird hier offenbar durch das Gehirn belohnt. Laut besagter Studie sind Menschen umso glücklicher, je mehr Abwechslung sie in ihren Tagesablauf bringen. Das muss nicht gleich die Anmeldung zum Marathon, ein neues Hobby oder der Jobwechsel sein. Um das Gehirn zum Jubeln zu bringen, reicht es, auf dem Weg zur Arbeit einen anderen Weg als gewohnt zu nehmen oder Kleinigkeiten im Tagesablauf zu ändern. Eine solche Vielfalt in den täglichen Erfahrungen, ist mit positiveren, emotionalen Zuständen verbunden. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb wir uns im Urlaub so glücklich fühlen. 

Warum aber finden wir uns, wenn Neues doch nachweislich die Stimmung verbessert, uns dann doch Abend für Abend auf dem Sofa, dieselbe Serie schauend, anstatt draußen vor der Haustür neue Wege zu erkunden oder endlich mal wieder die Gitarre aus dem Schrank zu holen? Weil unser Menschenhirn leider ziemlich faul ist. Was es kennt, das mag es, ganz egal, ob all die Angewohnheiten und Muster, die wir im Laufe unseres Lebens adaptiert haben, tatsächlich gut für uns sind, oder schädlich. Solche Gewohnheiten ermöglichen uns, das Leben im Autopilot-Modus zu führen, ohne die Energiereserven anzuknapsen. 

So entdeckst du den Zauber des Alltags

Sei offen!
Gespräche mit anderen Menschen erweitern deinen Horizont um eine ganz andere Perspektive und wer weiß, was aus deinen alltäglichen Begegnungen wird? Die Frau, die dich immer wieder über den Weg läuft, könnte deine nächste gute Freundin werden. 

Sei neugierig!
etwas erfahren zu wollen, zu lernen, eröffnet dir die Möglichkeit, die Welt von einer ganz anderen Seite zu sehen.

Sei wach!
Um den Moment als einzigartig wahrzunehmen, musst du den Sonnenaufgang, das Vogelgezwitscher, den blühenden Baum überhaupt registrieren. Zeit, mal weniger zu eilen und der Welt achtsam zu begegnen. 

Sei dankbar!
Irgendwann kommen wir immer an den Punkt, an dem uns etwas, für das wir eben noch regelrecht gebrannt haben, plötzlich alltäglich, gewöhnlich erscheint. Hier hilft es, sich in Dankbarkeit zu üben. Wenn wir Dinge und Menschen wertschätzen, nehmen wir sie besser wahr und schätzen sie mit all ihren Besonderheiten. Ob du dieser Dankbarkeit mit Journaling Ausdruck verleihst, meditierst oder auch nur im Stillen dein Bewusstsein auf die Dinge, die dir wichtig sind, lenkst: Schau genau hin auf das, was du hast.

Raus aus der Routine

Aus diesen Studien wird deutlich, dass es für unser Glücklichsein offenbar essenziell ist, sich immer wieder neu für Dinge zu begeistern, fasziniert zu sein und etwas als „ungewöhnlich“ zu empfinden. Nun mag die Begeisterungsfähigkeit individuell verschieden sein und gut möglich, dass es manchen Menschen schwerer fällt als anderen, das Besondere im Alltag zu sehen.

Wem das partout nicht gelingen will, der sollte einfach mal einen anderen Weg im Tagesablauf einschlagen. Der Alltag wird so gleich viel bunter. Wie wäre es zum Beispiel damit, am Wochenende einfach mal um 5 Uhr aufzustehen und auf den Fischmarkt zu fahren, auf einen Berg zu klettern, oder was du sonst um diese Uhrzeit eben NICHT machst? Du wirst regelrecht spüren, wie deine Synapsen sich neu verknüpfen und gut möglich, dass dieses „kleine Neue“ dir die Augen öffnet für das „große Neue“.

Oder wer kennt das nicht, dass abseits des Alltags einem die besten Ideen kommen? Urlaub ist da ein gutes Beispiel: in einer anderen Umgebung kommt unser Gehirn auf neue Gedanken und beschäftigt sich mit all den Optionen und Wünschen, die wir sonst gar nicht so genau vor Augen haben. Es hat schon seinen Grund, dass „Sabbaticals“ so hoch im Kurs stehen, ebnen sie doch den Weg für Neuanfänge jeglicher Art. 

Ein Neuanfang mit kleinen Glücksmomenten

Vielleicht muss es dafür ja aber gar kein Sabbatical sein. Manchmal fangen wir ja auch etwas Neues an, ohne es wirklich zu bemerken. So wie es mir neulich passiert ist, als ich auf meinem morgendlichen Spaziergang meine Kopfhörer vergessen hatte und mich plötzlich verwundert fragte: „Seit wann mache ich das eigentlich schon so?“ Seit wann höre ich eigentlich auf meiner morgendlichen Hunderunde Podcasts, um gut in den Tag zu starten?

Es ist gar nicht so lange her, dass ich morgens erst einmal mit einem Kaffee im Bett die ersten Minuten meines Tages durch meine Social Media Apps scrollte. Übrigens war eben genau dieser Umstand, dass ich meine Kopfhörer vergessen hatte, das Schönste am Spaziergang. So bemerkte ich seit Langem wieder mal, wie es ist, morgens um 7 Uhr die Vögel zwitschern zu hören. Vielleicht mache ich das demnächst wieder mal so, wenn mir danach ist. Und wenn nicht, dann nicht. Wenn es nach mir geht, muss nicht jeder Neuanfang mit Stift und Papier besiegelt werden und nein, wir brauchen dafür auch keinen Jahreswechsel. Manchmal reicht es auch, einfach nur den Moment in all seiner Besonderheit wahrzunehmen und wertzuschätzen; da fangen die Ideen an zu sprudeln und ich habe diese „Jetzt wird alles anders“-Gefühl.

Ich denke, das Leben ist eine Reihe nie endender Neuanfänge. Alles ist ständig im Fluss, niemals statisch. Am besten, wir lassen uns mitreißen und sehen jeden Tag, als das, was er ist: als neue Chance, als neue Zutat für die Summe an Tagen, aus denen das Leben am Ende besteht.

Meine persönlichen, kleinen Neuanfänge zur Inspiration:

– Campen im Garten 
– Urlaub nur zu zweit mit meinem Papa
– Tante sein (danke an meine Schwester und meine Freundin!) 
– Morgens eine Stunde Yoga machen, statt direkt den ersten Kaffee zu trinken
– Immer wieder mit meinem Hund neue Wege einschlagen 
– Etwas Neues lernen: Handstand, Spagat, Singen, ein Instrument… 
– Eine Woche lang auf Zucker verzichten
– Kein Auto mehr fahren (ist eher ein „Neu-Ende“, aber ja, seit 2017 fahre ich selbst nur noch Fahrrad und nehme meine Umwelt so viel bewusster wahr)

Nina Ponath

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