Es gibt Geburtstagsfeiern, auf denen das Menü vieles über den Jubilar aussagt. Im Falle des 30-jährigen Firmenjubiläums von Keimling Naturkost ist das Menü Programm. Firmengründer und Geschäftsführer Winfried Holler blickt zurück.

 

Herr Holler, was genau war das eigentlich, was da vor 30 Jahren in Ihnen keimte, welche Visionen, welche Ideen haben Sie angetrieben?

Keimling_Holler_WinfriedWinfried Holler: 30 Jahre sind in der Tat eine lange Zeit und es ist schon irgendwie bewegend, gerade jetzt all die Bilder aus den Anfangszeiten zu sehen und sich daran zu erinnern, was mich damals in Bewegung gesetzt hat. Als ich 1984 in der Buxtehuder Altstadt den Bioladen Kernbeißer übernahm, war ich ja durchaus schon ein wenig vorbelastet. Bereits mit 14 Jahren hatte ich die klare Vorstellung, später einmal etwas zu tun, was die Gesundheit der Menschen deutlich fördert. Da lag es auf der Hand, den Hebel bei der Ernährung anzusetzen. Ich hatte zum Beispiel mal gelesen, dass wir Karies inzwischen schon beinahe als normal und nicht als Krankheit wahrnehmen, diese bei Naturvölkern jedoch gar nicht vorkommen muss. Wie vieles andere war das also auch eine Frage der richtigen oder falschen Ernährung.

Gerade solche Aussagen oder Erfahrungen haben mich schließlich motiviert, das zu tun, was ich dann getan habe. Außerdem hatte ich ja auch Betriebswirtschaftslehre studiert, und so war es fast folgerichtig, dass ich dann als Diplom-Kaufmann in meinem eigenen kleinen Laden stand: 30 Quadratmeter, auf denen ich die Möglichkeit hatte, meine Ideen mit dem notwendigen, alltäglichen Geldverdienen zu verbinden. Eine Vision im Sinne eines endgültigen Zieles hatte ich nicht. Was ich aber auf meinem Weg machen wollte, war ziemlich klar – die Menschen für gesunde Ernährung zu begeistern und ihnen zu helfen, das auch umzusetzen. Dazu hatte ich eine Menge Ideen und genauso viel Energie. Klar, dass der Laden bald zu klein war. Daher kam später die Idee mit dem Versandhandel, und das führte dazu, dass Keimling heute der größte europäische Versandhändler für vegane Rohkost ist.

Wer waren eigentlich die ersten Kunden in Ihrem Buxtehuder „Naturwaren“-Laden?

Holler: Auf die Kundschaft war ich vor- bereitet. Das Thema „Gesunde Ernährung“ wurde ja durchaus intensiv diskutiert, auch wenn die praktische Umsetzung noch viele Defizite hatte. Aber gerade das führte dazu, dass viele meiner Kunden nicht nur bei mir einkauften, sondern mir auch halfen, Kurse oder Vorträge an der Volkshochschule zu organisieren. In der Buxtehuder Aula des Schulzentrums Süd bekamen wir regelmäßig um die 120 Leute zusammen, wenn dort die Autoren der aktuellsten Bücher über Naturkost und Ähnliches auftraten. Übrigens habe ich schon damals versucht, auch die Politik zu überzeugen. Mein erstes Schreiben an die Bürgervertreter ist durch einen Zufall auf dem kürzesten Weg in die komplette Ratsherrenrunde gelangt. Das ließ die lokale Presse damals darüber spekulieren, wie ein Weltverbesserer wie ich eigentlich in solch einen Verteiler komme.

Und haben Sie die Welt seitdem ein wenig verbessern können?

Holler: Insgesamt hat sich die Biokost stark entwickelt, was an der Zunahme der Biomärkte gut erkennbar ist oder auch daran, dass alle großen Märkte, auch die Discounter, eine Menge an Biokost anbieten. Ich seh‘s auch an Freunden, die früher gesagt haben: „Bio ist mir zu teuer. Und da werde ich genauso betrogen wie überall.“ Heute kaufen sie wie selbstverständlich ihre Biobananen oder vielleicht auch Biofleisch. Man hat auch mit deutlich weniger Vorurteilen zu kämpfen als früher. Das Interesse ist heute größer, die Akzeptanz ebenfalls, es wird auch immer mal etwas ausprobiert. Aber sein Leben grundsätzlich und konsequent auf Rohkost umzustellen, ist eben nicht so einfach.

Viele wollen diesen Schritt nicht machen, vielleicht noch nicht. Man darf auch nicht unterschätzen, dass man es hier mit festen Gewohnheiten zu tun hat, von denen sich Kopf und Körper auch nicht so einfach trennen können. Was einem die Mutter mit auf den Weg gegeben hat, das prägt einen ein Leben lang und kann ja schließlich nicht so verkehrt sein, denkt man. Auch um einen herum gibt es noch eine Menge an Hürden. Nicht alles was bio und roh ist, schmeckt auch so gut, wie es eigentlich schmecken könnte. Mehr Abwechslung, mehr entsprechende Angebote in den Restaurants oder den Supermarktregalen – das alles würde helfen. In meiner Firma versuche ich übrigens, diese Art von Ernährung quasi so „verführerisch“ wie möglich anzubieten. Neben frisch gepresstem Saft zum Start in den Tag gibt es regelmäßig ein 2-Gang-Rohkost-Menü für die Keimling-Gourmets. Das übliche Salat-Menü wird ja irgendwann langweilig. Auch die Naturrohkost darf eben nicht nur aus reinen Vernunftgründen gegessen werden – sie muss auch schmecken und Spaß machen.

Gerade bei der Umstellung der Ernährung kommt für viele das „Spaß machen“ relativ kurz. Oder?

Holler: (lacht) Man darf sich das Ganze ja nun nicht selber als den Beginn von Entsagung und den Verzicht auf Genuss und Befriedigung einreden. Das ist manchmal dann eben eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Aber im Ernst – es ist natürlich so, dass der Körper schon sehr unter- schiedlich auf die teilweise doch gravierenden Ernährungsumselllungen reagiert. Manche entgiften sich ja zum Beginn der Umstellung sehr stark, bevor sie sich dann wie- der ganz normal, nur eben vegan oder mit Rohkost oder einfach deutlich fettfreier oder sonstwie ernähren. Durch das radikale Entgiften wird der Körper unter Um- ständen erst einmal geschwächt und es geht einem tatsächlich die ersten Wochen etwas schlechter als vorher. Andererseits gibt es viele Beispiele, die belegen, dass die Menschen sich sehr schnell besser fühlen, deutlicher sich selber spüren, mehr Energie besitzen oder auch einfach nur besser schlafen. Inzwischen gibt es immer mehr Literatur, immer mehr Erfahrungsberichte im Internet und immer mehr Bekannte und Freunde, die das alles schon erfolgreich durchlebt haben.

Der Sommer ist die Zeit der grünen Smoothies, aber auch die der Grillfeten. Was sind Ihre Grilltipps?

Holler: Mich persönlich reizt das Grillen nicht unbedingt, auch wenn ich die damit verbundene Geselligkeit durchaus mag. Aber man kann als Veganer oder Rohköstler ja immerhin die Salate mitbringen oder eben dort gemeinsam anmachen. Man kann mariniertes Gemüse beisteuern, Pilzburger aus gedörrten Pilzen machen, Sorbets anbieten und vieles mehr. Das lässt sich alles durchaus genießen und man fühlt sich hinterher besser, als wenn man die vielen schweren Steaks in sich hinein isst. Ohne Sie jetzt missionieren zu wollen: Probieren Sie es einfach aus, und Sie werden sehen, es stimmt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Frances Schlesier und © Keimling Naturkost GmbH