Wir sehen sie jeden Tag und nehmen sie doch kaum richtig wahr. Dabei sind Wolken nicht nur ein Wetterphänomen. Sie regen unsere Phantasie an, nehmen uns mit sich fort auf Reisen und können binnen weniger Minuten die ganze Welt auf den Kopf stellen.

Hand aufs Herz: Wann hast du das letzte Mal die Wolken richtig angeschaut? Keine Gewitterwolke, die sofort den Stresspegel steigen lässt, weil man bangt, nicht mehr rechtzeitig ins Trockene zu kommen. Eine normale Wolke. Kannst du dich erinnern? Vermutlich ist es schon eine Weile her.

Wir schenken der Welt über uns nur selten größere Beachtung. Ein vorbeifliegender Vogel, der Sonnenuntergang oder der wachsame Blick nach der aktuellen Wetterlage lassen uns zwar immer wieder den Kopf heben, für die Schönheiten des Himmels sind wir aber dennoch meist blind. Eigentlich seltsam, oder? Wir bestaunen Blumen, die spiegelglatte Oberfläche eines Sees oder gehen mit offenen Augen durch den Wald, bereit, all die kleinen Details in uns aufzunehmen, die sich uns zeigen. Aber die Wolken? Sie spielen nur selten eine größere Rolle. Dabei haben sie uns so viel zu erzählen.

Luftiges Rätsel

So gewöhnlich sie uns vorkommen, so mysteriös ist ihre Entstehung. Denn bis heute konnte die Wissenschaft nicht entschlüsseln, unter welchen Vorraussetzungen sich Wolken tatsächlich am Himmel bilden. Die Grundkomponenten sind bekannt: Es braucht vor allem warme und feuchte Luft, die aufsteigt bis sie am sogenannten Taupunkt kondensiert und aus dem unsichtbaren Wasserdampf wieder kleine Tröpfchen werden. Damit dies in großer Höhe funktioniert, braucht es sogenannte Aerosole – das können Sandkörner, Bakterien, Salz oder auch einfach Staubpartikel sein – in der Luft, die diesen Prozess unterstützen. Doch was passiert dann? Wie wird aus der Feuchtigkeit in der Luft eine Wolke? Welche Bedingungen müssen geschaffen sein? Und wann genau beginnt dieser Prozess? Das ist die große Frage, auf die es bis heute keine Antwort gibt. Und die uns eigentlich zum Schmunzeln bringen müsste. Wir haben es geschafft, das menschliche Genom zu entschlüsseln, aber wir wissen bis heute noch immer nicht, wie eine Wolke entsteht.

Formensuche

Wer sich einmal die Zeit nimmt, den Himmel genauer zu studieren, hat vieles zu entdecken. Denn Wolke ist nicht gleich Wolke. In welchem Gewand sie sich unserem Blick stellen, hängt davon ab, in welcher Höhe sie ihre Transformation vollziehen. Grundsätzlich gibt es drei Zonen: In fünf bis 13 Kilometern über dem Erdboden tummeln sich die sogenannten hohen Wolken, bei denen es sich um besonders luftig-leichte Gebilde handelt. Es ist die Welt der Feder- und Zirruswolken, die durch ihre dünne, fasrige Form auffallen und so luftig scheinen, als könne man sie ganz einfach mit einem sachten Pusten weiterschieben. Verdichten sich diese Federwolken zu einem dünnen, großflächigeren Schicht, werden aus ihnen Zirrokumuli-Wolken. Ist erst einmal ein großer Teil des Himmels bedeckt, haben die Schleierwolken (Zirrostratus) das Regiment am Firmament übernommen.

Schleierwolken laden genauso wie Federwolken zum Träumen ein. Ihre scheinbar schwerelose Form nimmt unsere Gedanken wie von selbst einfach mit, während sie über den Himmel ziehen. Wir schweifen ab, lassen uns einfach mit ihnen treiben und geben uns der Frage hin, was sich wohl hinter dem Schleier verbirgt. Was wohl zum Vorschein kommt, wenn wir ihn lüften? Könnten wir weiter schauen, könnten wir einfach in die Tiefen des Alls blicken, eine zu so großen Teilen noch völlig unbekannte Welt, in der nichts unmöglich scheint. Auch unsere Gedanken befreien sich plötzlich von den Grenzen des Möglichen – oder zumindest von dem, was wir dafür halten. Es fällt ganz leicht, sich in die Welt des Unbekannten vorzuwagen. So wie diese zarten Federn über den Himmel wirbeln, so ziehen sie unseren Geist einfach mit sich fort. Ganz unbeschwert und ohne Hast.

Von Schafen und Regen

Ähnlich wirken auch Schäfchenwolken (Altocumulus) auf uns, wenn sie ballenförmig auftreten und wie kleine Wattebäuche aussehen. Es hat schon fast etwas heimeliges, sie zu beobachten. Verdichten sie sich, entsteht manchmal auch ein Wellenmuster bei dessen Anblick einem unweigerlich das Rauschen des Meeres in die Ohren kommt.

Zu finden sind diese Schäfchen in der mittelhohen Wolkenzone, die sich von zwei bis sieben Kilometern Höhe erstreckt. In ihr entstehen auch die Altostratus-Wolken, zumeist gräuliche Schichtwolken, durch die die Sonne nur noch verschwommen zu sehen ist. Wie auch der Nebel erzeugen sie ein eher unwirkliches Gefühl, als wäre man in einer Zwischenwelt.

Für Abkühlung sorgen die tiefen Wolken, die sich in einer Höhe von bis zu zwei Kilometern bilden. Sowohl die Stratokumuli (grau-weiße Haufenwolken), als auch die Stratuswolken (diese bilden eine durchgänge graue Wolkenschickt) sorgen durch ihre flächendeckende Ausdehung und ihren tiefen Stand dafür, dass sich das Klima abkühlt.

Hoch hinaus

So vielfältig das Schauspiel auch ist, das uns Mutter Natur an ihrem Himmelszelt inszeniert, kaum eine Wolkenform ist so faszinierend wie die Kumuluswolken. Jene dichten, weißen Haufenwolken, die wie kaum etwas anderes unsere Phantasie anregen. Sie sind die wohl größten Wandlungskünstler am Firmament, denn kaum ein Augenblick vergeht, in dem sie nicht ihre Form ändern. Vom Wind davongetragen schieben sich die einzelnen Haufen durch unser Sichtfeld. Während sich eine Ecke gerade in sich auflöst, quillt auf der anderen Seite eine neue Rundung hervor. Es bilden sich kleine Schleier, die hinter der Hauptform hergezogen werden, kleine Berge und abenteuerliche Formen, die uns geistig herausfordern. Denn wer eine Weile in die Wolken schaut, entdeckt dabei nicht nur bekannte Formen, sondern auch so manch wilde Zusammenstellung. So wird aus einem Elefantenkopf mit Rüssel schon einmal binnen weniger Augenblicke eine Tasse mit Geweih.

„Wir haben das menschliche Genom entschlüsselt, wissen aber nicht, wie eine Wolke entsteht.“

Das mag abstrus klingen, doch am Ende ist es nur ein weiterer Beweis dafür, dass an dem großen blauen Baldachin über unseren Köpfen alles möglich ist. Wer bereit ist seinen Horizont dafür zu öffnen, kann auf einer Sommerwiese liegend ein paar herrliche Stunden verbringen – mit sich selbst und einem wunderbaren Schauspiel, das inspiriert und beflügelt. Doch noch etwas anderes wird einem in diesem Moment bewusst: die Vergänglichkeit der Welt. Ohne dass wir sie von unserem Beobachtungsposten aus beeinflussen könnten, ziehen die Wolken einfach weiter. Getragen vom Wind verändern sie beständig ihre Form. Es gibt keinen Stillstand, nur Wandlung. Wer ein Foto vom Himmel macht, erhält eine Momentaufnahme. Bereits wenig später zeichnet sich ein neues Bild, mit anderen Details und anderen Möglichkeiten.

Unbändige Kraft

Doch Wolken sind nicht nur schön anzuschauen, sie zeigen auch regelmäßig, welche Kraft in ihnen steckt. Besonders sehenswert sind dabei Kumulonimben, sehr große, dichte Wolkentürme, die sich kilometerweit in die Höhe schrauben können. Ihre höchsten Ebenen werden meist hell vom Sonnenlicht angestrahlt, während sie unten bereits dunkelgrau gefärbt und mit viel Wasser gefüllt sind – ein versprechen auf ein ordentliches Gewitter im Gepäck.

Schiebt sich eine solche Front heran, kann einem schon ein bisschen komisch werden. Es wirkt durchaus bedrohlich, wenn man selbst noch unter blauem Himmel sitzt und vom Horizont eine dunkle Welle herangerollt kommt. So friedlich die obersten Turmspitzen auch aussehen mögen, das tiefdunkle Blaugrau der Basis, durch die Blitz und Donner zucken, zeugen davon, welch unbändige Kraft sich da auf uns zu bewegt.

Intensiv, unbeugsam und unerbittlich entfaltet sie sich, wenn der Moment dazu gekommen ist. Und das geht mitunter rasend schnell. Denn so plötzlich wie Wolken entstehen, ist es manchmal nur eine Frage von Minuten, bis sich der Himmel völlig verdunkelt, als würde die Welt tatsächlich untergehen. Und selbst dann weiß Mutter Natur zu überraschen: Wenn die dunkle Gewitterfront plötzlich aufreißt, als wäre sie nie da gewesen. Es bleibt eine gespenstische Ruhe, die noch von dem Donnergrollen zeugt, das bis eben noch über unsere Köpfe hinweggerollt ist.

Nichts bleibt, wie es ist

Wer in den Himmel schaut, kann nicht nur ein wissenschaftlich nach wie vor schwer zu greifendes Phänomen beobachten, sondern auch einen Spiegel der menschlichen Seele finden. Kaum eine emotionale Regung lässt sich nicht auch im Spiel der Wolken erkennen. Ob gemütliche Ruhe, kreative Verwirklichung oder ein emotionales Donnerwetter aus Wut, Verzweiflung oder Traurigkeit – all das lässt sich am Firmament finden. Und dazu gehört eine Botschaft: Nichts bleibt, wie es gerade ist. Alles ist im steten Wandel. Und auch wenn sich unsere Welt einmal verfinstert, in Strömen Regnet, es donnert und kracht – auch dieses Gewitter wird irgendwann vorüberziehen und wieder Platz für verträumte Federwölkchen machen.

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Bildquellen: Photo by Stephanie Klepacki on Unsplash