Göttliche Kraft

Im ersten Abschnitt der Suche nach Kontakt mit einer höheren Macht wird diese im Außen, in einer Lichtung, auf dem Olymp, in Walhalla oder im Weltall gesucht. Ob Ahnen, Engel oder Außerirdische, es handelt sich um Projektionen der höchsten Macht in uns. Es ist so gewollt vom höheren Selbst, dass „ES“ sich im Außen als Christus- oder Buddhastatue sieht und sich selbst über diese verehrt. Statuen oder große heilige Bäume dienen als Platzhalter für eine Kraft, die ansonsten unsichtbar wäre und unbewusst bliebe.

Anfangs weiß der Pilger also nicht, dass Gott in ihm wohnt, genauer gesagt, das göttliche Bewusstsein, das in jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt erwachen und auch wieder einschlafen kann. Eingeschlafen in seinem Ego setzt der Pilger die Suche wieder fort und erinnert sich nur noch, dass er beispielsweise an den Externsteinen – während er dem Adler folgte – ein erhebendes Glücksgefühl in sich spürte, ein Gefühl von Ganzheit und tiefster Verbundenheit mit der Welt. Alles war still, offen und herrlich.

Plötzlich aber merkte er, als er die Stimmen der Reisebusgesellschaft wieder hörte, dass sie ihn störten. Störung ist stets Zeichen von Trennung, von innerem Widerstand. Vorbei war es mit dem Gefühl des Eins-Seins. Und schon warf er einer laut plappernden Frau einen verärgerten Blick zu, den sie aber nicht wahrnahm, sondern noch lauter wurde, weil auch die anderen Umstehenden begannen, sich über den mächtigen Vogel auszutauschen.

Der Zauber des magischen Augenblicks war verflogen und die Banalität des Alltags griff wieder um sich. Und im Alltag machte der Pilger häufig ein verärgertes Gesicht, denn er war noch gefangen in dem kollektiven Feld von Stress und Kampf. In diesem Alltag konnte er nicht entspannen. Darum suchte er so oft wie möglich die Kraftorte auf. Im Verlauf seiner Suche und Pilgerschaft machte er immer wieder kurze und später längere Erfahrungen tiefer Entspanntheit und Zufriedenheit mit dem Augenblick.

Pilgern zum inneren Frieden

Der innere Friede ist Ziel des Pilgerpfades. Durch nichts kann dieser Diamant zerstört werden, weder durch Krankheit noch durch Armut, weder durch Gefangenschaft noch durch Erfolg. Ob er mich erfüllt oder nicht unterliegt aber nicht meinem Willen. Einmal da und das für immer? Stimmt bei mir nicht. Meine inneren Gezeiten wechseln wie die Launen eines Kindes. Innerer Friede ist für mich eine Kostbarkeit, die in einer Phase zwischen Ebbe und Flut auftritt. Dann empfinde ich mich ausbalanciert. Heute akzeptiere ich das Auf und Ab, genieße den Wandel und die Launen – sogar schlechte. Das war nicht immer so. Mein Verstand lästerte ständig über bestimmte Gefühle. Wie änderte sich das?

An den verschiedensten Plätzen meiner Reisen und Pilgerfahrten erfuhr ich kleine Zeichen und Energien der Großen Mutter ebenso wie Zeichen und Energien des Himmlischen Vaters. Die Liebe der Mutter Erde und die Klarheit des väterlichen Verstehens wurden auf dem letzten Teil des Pilgerpfades vereint, Kopf und Bauch, Verstand und Gefühl streiten nun nicht mehr, sondern bilden eine Einheit.

Langsam begriff ich, ich suchte Kraftorte der göttlichen Mutter und jene des göttlichen Vaters auf, um Herz und Verstand in Einklang, in Harmonie zu bringen. Heute verstehe ich: Die Sehnsucht nach Ganzheit trieb mich in die Wälder und in die Kathedralen, doch den Frieden – den heiligen Gral – fand ich nur in mir selbst.

Bildquellen: Raphael Hilliger