Dass Männer ihre Gefühle gefälligst zu unterdrücken haben, nicht zuletzt, weil sie es können, liegt immer noch so ein wenig als Schablone über dem Geschlechterverständnis. Selbst ein „richtig“ männliches „Danke!“ hat gefälligst anders zu klingen, als das von Mutter oder Oma anerzogene. Oder doch nicht? Aber selbst James Bond heult und ist deswegen noch lange kein Weichei. Oder doch?

In meinen Kinderjahren war es vor allem meine Mutter, die mich erzogen hat. Nicht dass meine Eltern das als Rollenverteilung durchgezogen haben – aber mein Vater war einfach die meiste Zeit nicht da, war beruflich oft monatelang unterwegs, weit weg auf hoher See. Wo genau, konnten wir einmal in der Woche in der Ostsee-Zeitung unter „Schiffspositionen“ lesen, das war schon cool, in Gedanken quasi bei ihm zu sein. Wenn er dann zuhause war, waren seine eigenen „pädagogischen Interventionen“ weniger nachhaltig, wie man heute sagen würde. Ich habe meinen Vater schon vermisst, wenn er länger nicht da war. Aber ich hatte als Kind nicht das Gefühl, deshalb anders erzogen zu werden. Meine Mutter ließ mich in vielem meine Wege gehen, weil sie mir vertraute. Und ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass mir der „männliche“ Teil in der Gefühlserziehung ein wenig fehlen könnte. 

Frauenversteher aber keine Frau? 

Irgendwann spielte das dann doch eine Rolle. Bei den Feten und der „Weiberschau“ der männlichen Cliquen unserer Schule war ich außen vor. Sicher, ich hatte eine Menge anderer Dinge im Kalender. Zu viel für jemanden, der eigentlich noch seine Jugend auszuleben und auszuloten hatte. Dennoch, über die Zoten meiner pubertierenden Kumpels konnte ich nicht so richtig lachen und stieß andererseits bei ihnen auf teilweise frappierendes Unverständnis für feinsinnige oder romantischere Ideen. Das kommt davon, wenn man zu viel liest und zu wenig Bier trinkt, dachte ich manchmal. Aber auch das ist nur ein Klischee. Und dann kamen die Mädchen zu mir – um sich die Welt der Jungs erklären zu lassen und vor mir als perfektem „Frauenversteher“ ihre Beziehungsprobleme aufzudröseln. Mit meinen wohl ganz brauchbaren Gedanken ging es dann zurück zum gerade noch als „gefühllosen Klotz“ beschriebenen Freund. Für mich blieb ein Küsschen auf die Wange. Na toll!

Der Fluch der Empathie 

Natürlich klappte es dann noch noch mit meinem Liebesleben und allem was dazugehört. Aber meine Gefühle durchwanderten alle Extreme, immer und immer wieder. Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt – oft fand ich diese Metapher noch als völlig verharmlosend. Aber niemals wäre mir eingefallen, das als „unmännlich“ zu empfinden. Im Gegenteil. Bei aller emotionalen Verzweiflung, die mich das eine oder andere Mal so ziemlich im Griff hatte, blieb doch unterm Strich für mich ein Reichtum der Gefühlserfahrungen, den ich heute auf gar keinen Fall mehr missen möchte. Klar, die Seele ist schon irgendwo ziemlich strapaziert und geschunden worden, aber nie so, dass sie kaputt ging. Nur groß wurde sie, wunderbar groß. Und ich habe gleichzeitig gelernt, in andere Seelen hineinzuschauen und mich darin ganz passabel zurechtzufinden – Irrwege und Irrtümer nicht ausgeschlossen. Aber das gehört dazu. Was geblieben ist, sind eine Menge Respekt vor jedem einzelnen Menschen, ein bisschen Demut und ein gutes Stück Dankbarkeit für all das, was ich bisher (er)leben durfte. Allerdings steht mein Seelen-Ich meinem Geschäfts-Ich damit so manches Mal im Weg. Insbesondere dann, wenn ich aus purem Verständnis und Mitgefühl anders entscheiden möchte, als es geschäftlich angebracht wäre. Allerdings halte ich das nicht für eine Frage von „männlich“ oder „unmännlich“. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille.

„Der Himmel weiß, dass wir uns niemals unserer Tränen schämen müssen, denn sie sind der Regen auf den blind machenden Staub der Erde, der über unserem harten Herzen liegt.“

Charles Dickens

Aus dem Gefühlskorsett ausbrechen 

Denn dieser Druck, seiner Empathie nur dann zu folgen, wenn es einen selbst in die Position der „Stärke“ bringt, wenn es sich geschäftlich rechnet oder der Karriere dient, das ist, rein geschichtlich gesehen, schon ein Stück tradierter Männerwelt. Gut für die, die sich in ihrer Gefühllosigkeit „wohlfühlen“. Schlecht für die, die den halben Tag damit verbringen, Gefühle zu verdrängen und Maßstäben zu folgen, die nicht die eigenen sind. Nicht selten erlebe ich Männer, die zwar darunter leiden, denen es aber nicht in den Sinn kommt, dieses Muster infrage zu stellen. Männer, die einfach nicht in der Lage sind, aus diesem Gefühlskorsett auszubrechen, auch wenn es sie innerlich schon fast zerreißt. Klar, oft hört man gerade von diesen Männern, dass man die Gefühle hintenan stellen muss, weil die Vernunft andere Entscheidungen gebietet. Und wenn es die Vernunft nicht hergibt, dann ist es eben der Bauch. Hauptsache Seele und Herz bleiben außen vor und stiften keine Verwirrung. Ich spitze es mal ein wenig zu: Ein solches Denken ist keine Stärke der Männer, sondern eine ihrer großen Schwächen. 

Muss der Mann ein Beschützer sein …

Natürlich sind die Zeiten längst vorbei, in denen die geschlechtsbezogene Rollenverteilung und die entsprechende Verteilung der jeweils angemessenen Gefühlsausbrüche wie in Beton gegossen waren. Inzwischen gibt es bei uns einen hohen Grad an Emanzipation und ein Maß an geschlechtlicher Diversität, das wirklich zu verinnerlichen gerade uns aus der doch schon etwas älteren Generation nicht immer leicht fällt, zugegeben. Und auch, wenn man sich über „männliches Gehabe“ nunmehr nur noch lustig zu machen scheint, im Alltag begegnet es uns dennoch immer wieder. Ein männliches „Danke“ hat zu klingen wie das „I’ll be back!“ des Terminators, und „Ich liebe dich!“ sagt mancher Mann am liebsten dann, wenn kein anderer Mann zuhört. Und selbst Höflichkeiten gegenüber dem anderen Geschlecht werden zum Teil nur als eine Form von Machtausübung verstanden – die Attitüde des noblen Beschützers. Aber auch das ist im Fluss und ändert sich, auch wenn der Fluss noch sehr lange vieles vom Alten mit sich führen wird … 

„Brüllt ein Mann, ist er dynamisch. Brüllt eine Frau, ist sie hysterisch.“

Hildegard Knef

… Oder darf die Frau auch den Mann beschützen? 

Jeder der über Männer und Frauen schreibt, wandert auf einem schmalen Grat. Was ist die Ausnahme, was die Regel? Eine übermäßig ihre Gefühle kontrollierende Frau – verhält sie sich nun männlich oder ist sie ein Beleg dafür, dass ein solches Verhalten eben keine Männersache ist? Wenn Mario Barth die Stadien schon vor Corona nicht mehr füllen konnte, ist das ein Zeichen für das Aussterben der flachen Witze über Blondinen in hohen Schuhen? Wer weiß es schon … Die Wahrheit liegt wie meistens irgendwo dazwischen – auch ein Grund dafür, dass sie in den die Extreme liebenden Medien einen schweren Stand hat. Aber dennoch: Ich persönlich erlebe auch heute noch reichlich Frauen, die es ihren Männern schwer machen, wenn diese nicht ihrer tradierten Rolle folgen. Und oft haben diese Frauen nicht nur die Tradition auf ihrer Seite, sondern auch das eine oder andere Stück der uns umgebenden Welt. Auch die Biologie, wenn ich das an dieser Stelle mal ganz vorsichtig sagen darf, ist ja nicht ganz außen vor. Jeder kennt doch die Momente, in denen er selbst ganz froh über bleibende Unterschiede zwischen Mann und Frau ist. Also bleibt er wohl weiter da, dieser Unterschied, auch in Sachen Empathie, oder in der Frage, lass ich’s raus oder nicht, gehe ich meinen Gefühlsweg nun oder nicht. Nicht ausnahmslos, nicht in jedem Punkt zementiert.

„Gefühle am Morgen, das erträgt kein Mann. Dann lieber Geschirr waschen!“

Max Frisch

Tränen aus Stahl

Dass Männer nicht weinen, und wenn sie es denn schon müssen, dass ihre Tränen dann quasi aus Stahl sind, ist sicher immer noch ein weit verbreitetes Klischee. Eine nicht totzukriegende Pseudonorm. Dabei weiß es doch jeder – auch Männer heulen. Und wenn es Männer gibt, die es noch nie getan haben, dann stimmt da etwas nicht. Der eine bekommt eher feuchte Augen als der andere, mag sein. Man erzählt es auch nicht herum, im Gegensatz zu vielen anderen, wirklich peinlichen Sachen. Auch tun Männer es weniger öffentlich, als manche Frauen. Ich oute mich mal hier als jemand, den es nach einem herzzerreißenden Film schon mal echt überwältigt. Zu Hause, allein vor dem Bildschirm ist das auch kein Problem. Im Kino aber, vor allem mit weiblicher Begleitung, freue ich mich über die Härte meiner Fingernägel, die ich in den Handballen presse, um nicht loszuheulen. Meistens hilft es. Aber es hilft auch dem Klischee. Und wenn es nicht funktioniert, dann müssen die Tränen eben raus. Tut gut und es befreit die Nase. Dass mir Letzteres jetzt einfällt, ist nun vielleicht wieder typisch männlich. Oder?

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