„Schlecht gelaunt sind wir doch alle mal“, sagt unser Umfeld. Aber sind wir gerade wirklich nur verstimmt oder schon mitten in einer Depression? Zwischen unnötiger Panikmache und Signalen, die wir dann doch ernst nehmen sollten.

Wir kennen sie alle, diese Phasen in denen wir traurig, einsam oder unglücklich sind. Emotionale Verstimmungen als solche sind in der Regel gesunde Reaktionen auf psychische Belastungen. Sie sind im Grunde erst einmal normal, mehr noch: sie sind sogar notwendig! Würde sich unser Stimmungsbarometer immer vollkommen gleichmäßig einpendeln, wären wir gar nicht mehr in der Lage, unsere schönen Momente als solche zu erkennen und sie zu genießen. Weiße Punkte lassen sich schließlich nur auf schwarzem Untergrund erkennen, schwarze hingegen nur auf weißem. Oder anders gesagt: Bergab, bergauf, Leben nimmt seinen Lauf. Wer sich dieses lebendige Wechselspiel erst einmal bewusst macht, wird merken, dass es ihm leichter fallen wird, seine zeitweisen Talfahrten entspannter zu durchleben. Hellhörig sollten wir allerdings dann werden, wenn unser Stimmungstief über mehrere Wochen oder gar Monate andauert, wir nicht mehr in der Lage sind, aus einer normalen Perspektive unsere Höhen und Tiefen wahrzunehmen, immer mehr Freude an jenen Dingen verlieren, die uns einst lieb waren und unser Antrieb Tag für Tag weiter nachlässt. Auch andauernde Schlafstörungen können ein alarmierendes Anzeichen sein. Beim Begriff der Depression mögen sich bei den meisten zunächst die Nackenhaare aufstellen: Das Thema wird noch immer tabuisiert, davon selbst betroffen sein will man schon mal gar nicht. Und wenn, dann möchte man zumindest nicht darüber sprechen. So, wie es uns jetzt gerade geht, soll uns schließlich keiner sehen. Wir können uns ja selbst kaum ausstehen. Aus Angst uns zu zeigen, erhalten wir meist lange eine Fassade aufrecht und vergessen dabei, dass uns gerade das noch einmal zusätzlich Kraft kostet: Zu Lächeln, auch wenn uns grad so gar nicht danach ist.

Wenn ich in den Spiegel schaue, will ich mich nicht nur sehen sondern auch selbst erkennen“

Blick in den Körper

Depressionen sind eine episodische, beziehungsweise phasenhafte, Erkrankung, die mehrere Ursachen haben können. Sie zählen zu den affektiven Störungen, was nichts anderes bedeutet als dass es sich hierbei um eine Störung handelt, die sich auf unsere Gefühlswelt auswirkt. Verantwortlich hierbei sind unsere Botenstoffe im Gehirn – Serotonin und Noradrenalin. Diese sogenannten Neurotransmitter übermitteln an die Synapsen, also den Verbindungsstellen zwischen zwei Nervenfasern im Gehirn, bestimmte Informationen und haben somit einen Einfluss auf unser Erleben, unsere Emotionen und unsere Gedanken. Bei einer Depression sind diese aus der Balance geraten, entweder weil sie in zu geringer Konzentration im Körper vorliegen oder aber weil die Empfindlichkeit der Rezeptoren dauerhaft verändert ist und die Übertragung nicht richtig funktioniert. Wirft man einen Blick auf die Forschung, so ist sich diese inzwischen einig, dass eine Depression grundsätzlich durch das Zusammenspiel von mehreren Faktoren ausgelöst wird. Hierbei spielen zum einen biologische Faktoren, aber auch psychische und psychosoziale Aspekte eine entscheidende Rolle. So können beispielsweise belastende Lebensereignisse bei dem einen prinzipiell eher eine Depression auslösen, wenn bereits auf genetischer Ebene eine erhöhte Empfindlichkeit, eine sogenannte Vulnerabilität, für die Erkrankung besteht. Wissenschaftliche Untersuchungen mit Familien belegen, dass gerade diese genetischen Faktoren bei der Entstehung von Depressionen einen ausschlaggebenden Einfluss haben können. So erkranken beispielsweise Kinder, bei denen bereits ein Elternteil von einer Depression betroffen war, mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 bis 15 Prozent selbst. Allerdings bedeutet dies nicht, dass durch eine erbliche Veranlagung eine Person zwingend ebenfalls mit einer Depression konfrontiert wird. Auch hierbei gilt: Gene und Umweltbedingungen wirken zusammen. So kann die Wechselwirkung zwischen den eigenen Genen und der Umwelt auch einen Einfluss darauf haben, wie gut ein Mensch mit Belastungen grundsätzlich umgehen kann oder aber, wie häufig er sich in schwierige oder risikoreiche Lebenssituationen begibt. Eine andere Form von Botenstoffen, die mit der Entstehung von Depressionen in Verbindung gebracht werden, sind Stresshormone. Der Körper schüttet sie in Schreck- und Gefahrensituationen aus und erhöht kurzfristig die Anspannung und die Aufmerksamkeit. In erster Linie ist dies eine ganz normale Reaktion unseres Körpers, der sich darauf vorbereitet, schnell und effektiv zu reagieren. Bei Menschen, die an einer Depression leiden, scheint jedoch das Kontrollsystem für diese Stresshormone langfristig gestört zu sein. So konnten Untersuchungen beispielsweise nachweisen, dass bei depressiven Patienten erhöhte Werte des Stresshormons Cortisol im Blut und im Urin vorliegen. Ein erhöhter Cortisolspiegel ist auch verantwortlich für verstärkte Ängstlichkeit und hat Auswirkungen auf Schlaf, Appetit und Konzentrationsfähigkeit.

Was treibt mich um? Oft bietet ein Blick ins Umfeld erste Lösungsansätze.“

Unser Umfeld

Wirft man einen Blick in unser Umfeld, so finden sich zahlreiche psychosoziale Belastungen, die Auslöser einer Depression sein können. Dazu zählen chronische Belastungen wie beispielsweise eine dauerhafte Über- oder Unterforderung am Arbeitsplatz, eine konfliktreiche Beziehung, belastende oder gar traumatische Lebensereignisse wie der Verlust des Partners, der Tod einer nahestehenden Person, eine plötzliche Krankheit oder schwerwiegende Umbruchphasen. Auf der anderen Seite kann auch ein Mangel an positiven Gefühlen wie Freude, Zufriedenheit und Entspannung langfristig in einer Depression münden. Dieses Defizit kann einerseits durch die Lebensumstände, andererseits aber auch durch das eigene Verhalten entstehen. So erhält beispielsweise jemand, der leicht mit anderen Menschen in Kontakt kommt, mehr positive Resonanz von außen als jemand, der sich tendenziell eher zurückhaltend verhält. So sehr sich auch mehrere psychologische Theorien damit beschäftigen, wie eine depressive Erkrankung entsteht und aufrecht erhalten wird, einen eindeutigen Auslöser gibt es nicht immer. Die Erkrankung kann ohne jede ersichtliche Belastung oder genetische Veranlagung ausbrechen. Umgekehrt kann ein Mensch einen „biologischen Stempel“ haben und unter schweren Belastungssituationen leben, ohne zwangsläufig zu erkranken. Was auch immer letztendlich ein Auslöser sein mag – Betroffene sollten sich bewusst machen, dass eine depressive Erkrankung keinesfalls ein Zeichen persönlicher Schwäche oder des Versagens ist. Niemand, der unter einer Depression leidet, braucht sich schuldig oder minderwertig zu fühlen. Sich dessen bewusst zu werden und sich selbst auch in diesen Phasen vollkommen anzunehmen, ein lautes „Ja, auch das!“ kann ein erster Schritt in Richtung Besserung sein.

Auf geht’s, nach vorn

Ob nun eine depressive Verstimmung vorliegt oder eine ernstzunehmende Depression, wird am Ende nur der Arzt klären können. Wird eine depressive Erkrankung schließlich diagnostiziert, kann eine Therapie ein nachhaltiger Weg aus der verdüsterten Gemütslage sein. Welche Verfahren dabei eingesetzt werden, hängt von der Schwere der Depression ab. Eine Depressionstherapie lässt sich in der Regel in drei Phasen einteilen und besteht aus einer Akutbehandlung, einer stabilisierenden Erhaltungstherapie und einer Rückfallprophylaxe, die verhindern soll, dass die depressiven Symptome wiederkehren. Die erste Phase einer Depressionsbehandlung kann zwischen mehreren Wochen und Monaten andauern. In dieser Zeit beginnt die Behandlung der Depression, bei der der Betroffene ausführlich über die Erkrankung sowie die geplante Behandlung aufgeklärt wird. Hierbei ist die Mitarbeit des Betroffenen eine wichtige Voraussetzung, der maßgeblich einen großen eigenen Teil dazu beitragen kann, dass es ihm schnell wieder besser geht. Der Therapieplan wird in Absprache mit dem Patienten erstellt und kann neben psychotherapeutischer Behandlung auch eine kurzfristige medikamentöse Einnahme, darunter die Verabreichung sogenannter Antidepressiva, beinhalten. Hat man die depressiven Symptome erfolgreich in den Griff bekommen, schließt sich eine mehrere Monate dauernde Erhaltungstherapie an, die sich auf die Stabilisierung des psychischen Zustandes konzentriert und so das Risiko für ein erneutes Aufflammen der Depression reduziert. Die dritte und letzte Phase der Therapie unterstützt die Betroffenen dabei, einen etwaigen Rückfall zu vermeiden.

Negative Glaubenssätze auflösen und durch alternative (positive) ersetzen.“

Mehrere Wege

Verschiedene psychotherapeutische Formen eröffnen depressiven Menschen Wege aus der Erkrankung. Derzeit übernehmen die Kassen Kosten für die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und psychodynamische Psychotherapien, wie beispielsweise die analytische Psychotherapie oder die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Die Kognitive Verhaltenstherapie versucht zusammen mit den Betroffenen bessere Wege zu finden, um mit der Erkrankung umzugehen. Beispielsweise unterstützt der Therapeut dabei, negative Gedanken zu erkennen und auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Durch therapeutische Strategien kann der Patient negative Glaubenssätze reduzieren und sich mit der Zeit alternative (positive) Denkweisen aneignen. Auch können im Rahmen einer Therapie die sozialen Kompetenzen gestärkt und die allgemeine Aktivität wieder aufgebaut werden. Psychodynamische Psychotherapien hingegen basieren auf der Vorstellung, dass eine Depression oft durch Verlust- und Kränkungserlebnisse ausgelöst wird, die nicht richtig verarbeitet werden konnten. Im Verlauf der Therapie sollen diese aufgearbeitet werden und dem Betroffenen die Möglichkeit bieten, belastende Erfahrungen nach und nach aufzulösen. Die Interpersonelle Therapie (IPT) ist eine kurzzeitige Therapiemethode, die speziell für die Behandlung depressiver Erkrankungen entwickelt wurde und therapeutische Konzepte aus Verhaltenstherapie und psychodynamischer Therapie kombiniert. Ein wichtiges Therapieziel dabei ist die Bewältigung belastender zwischenmenschlicher Stressfaktoren. Dabei erlernen die Betroffenen Fähigkeiten und Strategien zum Umgang mit Konflikten, die zur Entstehung oder Aufrechterhaltung ihrer Erkrankung beitragen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Therapieformen, die zur Bewältigung einer Depressionen hilfreich sein können, darunter die Soziotherapie, die die gesunden Ressourcen des Betroffenen aktivieren und ihn zur Selbsthilfe anregen will, die Gestalttherapie, die dem Betroffenen die eigene Entscheidungsmöglichkeit zugänglich macht oder aber die systemische (Familien-)Therapie, deren Schwerpunkt unter anderem auf dem sozialen Kontext und den Interaktionen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern liegt. „Sowas brauche ich nicht“, mag sich vielleicht der eine oder andere Leser nun sagen hören. Sich einzugestehen, Hilfe zu benötigen, passt eben nur selten in unser Selbstbild. Wir wollen stark sein, in allen Lebenslagen wie ein Fels in der Brandung stehen, wir leisten lieber einmal mehr Unterstützung als dass wir selbst welche in Anspruch nehmen. Damit machen wir es uns unnötig schwer. Mehr noch: Uns entgeht etwas. Eine Therapie und damit die direkte Konfrontation mit uns selbst, unseren persönlichen Themen und Lebensumständen – so unschön der Blick darauf manchmal auch sein mag – ist eine wunderbare Chance, sich selbst besser zu verstehen, zu erkennen, Belastendes loszulassen und sich selbst und den eigenen Weg neu auszurichten. <

Dies ist ein Artikel aus dem AUSZEIT-Magazin.

Bildquellen: © Ronny Labotzke