Musik: Wie spricht man über etwas, das so gar nicht zu greifen ist? Wie kann es sein, dass uns bestimmte Frequenzen und Intervalle – also Begrifflichkeiten, die man am Besten durch nackte Zahlen ausdrückt – doch bis ins Innerste berühren? Ein Versuch, die schönsten Töne eines Lebens in Worte zu fassen.

Auch wenn man die größten Liebesgeschichten der Weltliteratur allesamt in- und auswendig kennt: Von der Liebe weiß man so lange nichts, bis man sie selbst gespürt und gelebt hat. Ganz ähnlich ist es mit der Musik. Man muss sie einfach erleben, in sich aufsaugen, sie wirklich zulassen. Und ein weiterer Schritt, um ihren Geheimnissen noch viel näher zu kommen, ist es, sie ganz einfach selber zu machen!

Die alte Frage, welchen seiner Sinne man am ehesten opfern würde, wenn man denn müsste – Sehen oder Hören – würden die meisten Menschen wohl spontan mit Letzterem beantworten. Zu schwierig stellt sich ein Leben dar, in dem man den Alltag nur mit großer Mühe und ständiger Hilfe anderer meistern könnte. Doch je länger man darüber nachdenkt, desto mehr kann man ins Schwanken geraten.

Denken Sie nur, was Sie alles aufgeben würden: Den belebenden Singsang von zwitschernden Vögeln am Morgen, das hypnotische Rauschen des Meeres im wohlverdienten Urlaub, den Klang der Stimme ihres Herzblatts, der sich zu den drei schönsten Worten der Welt formt… und natürlich die endlose Kraftquelle, die sich in jeglicher Art von Lieblingsmusik verbirgt.

Jedes Leben wartet früher oder später mit entscheidenden Schlüsselerlebnissen in Sachen Musik auf. An manche erinnern wir uns, an andere nicht – doch sie alle hinterlassen ihre Spuren in uns und prägen unsere Wahrnehmung von musikalischem Klang nachhaltig. Vielleicht sind genau jene Momente ein möglicher Weg, um sich der unwiderlegbaren „Magie“ der Melodien zu nähern!

Ein Meer aus Stimmen

Ich kann mich genau daran erinnern, als wäre es gestern gewesen: Mit zarten sieben Jahren saß ich das erste Mal aufgeregt und mit großen Augen inmitten einer Hauptprobe unseres örtlichen Knabenchores. Einer der älteren Jungs war mir als Mentor zugeteilt, hatte mich freundlich empfangen, mich in die Probenräume eingewiesen und mir ein wenig vom Alltag eines Chorsängers erzählt.

Nun zeigte er mir aufmerksam – und theoretisch wirklich hilfreich – meine Noten in der Partitur, unsere gemeinsamen Einsätze und Pausen. Er nahm mich bildlich gesprochen an die Hand, um mir den Einstieg ins chorische Singen so einfach wie möglich zu gestalten.

Doch an konzentriertes Mitsingen war bei dieser aufregenden „Premiere“ kaum zu denken: Zu zahlreich die Eindrücke, zu schwierig all die neuen Lieder, zu überwältigend das Gefühl, nun tatsächlich Teil dieses großen Ganzen zu werden und aufzugehen in jenem vielstimmigen Meer des Wohlklangs.

Wenn fast 100 Knaben- und Männerstimmen sich zu vier- bis achtstimmigen Sätzen vereinen, dann ist Gänsehaut vorprogrammiert. Solch einen warmen, menschlichen, live-haftigen Surround-Sound zum ersten Mal – quasi „von innen heraus“ – zu erfahren, kann ein echter Ohrenöffner sein und hat zumindest für mich die lebenslange Liebe zum Chorklang innerhalb von Sekunden besiegelt.

Eine Zeit des Entdeckens

Zwei musikalische „Erweckungserlebnisse“ ganz unterschiedlicher Art prägten dann meine Jugend. (Es ist die wahrscheinlich wichtigste Phase, in der der eigene Musikgeschmack so richtig ausgeprägt wird: Wichtiger und identitätsstiftender als damals war Musik nie mehr, weder davor noch danach.)

Als Metallica Anfang der 1990er Jahre ihr selbstbetiteltes, sogenanntes „schwarzes Album“ veröffentlichten, war es sofort um mich geschehen. Eher zufällig beim CD-Verleih meines Vertrauens mitgenommen (so etwas gab es damals tatsächlich!), traf mich jedes brillante Riff, jeder einzelne Song wie ein Blitzschlag. Was folgte, war eine ausgeprägte Rebellion in Musik, die sich auf sämtliche Spielarten und die gesamte Geschichte des Metal erstreckte.

Doch gleichzeitig trat eine zweite neue Liebe in mein Leben, als ein erster Opernbesuch mir eine ganz neue Welt von musikalischer Größe eröffnete. Mit Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ stand glücklicherweise eines der idealen Werke auf dem Spielplan, um einen jungen, unbedarften, ganz und gar ahnungslosen Hörer mühelos für die mitreißende Dramatik und die schiere kompositorische Genialität des Musiktheaters zu begeistern. Der Funke des Interesses war entzündet und hat sich im Laufe der Zeit zu einem kaum zu bändigenden, leidenschaftlichen Feuer ausgeweitet!

Eine Stadt voller Musik

Als es mich vor ein paar Jahren schließlich nach Leipzig verschlug, freute ich mich durchaus auf eine pulsierende, vielfältige Stadt – mit großer musikalischer Geschichte und Tradition und einer lebendigen, gelebten Musiklandschaft. Doch wie sehr die Melodien hier tatsächlich in der Luft liegen, das hat mich dann doch überrascht!

Es vergeht kein Abend, an dem man nicht die Möglichkeit hat, Dutzende von Künstlern der unterschiedlichsten Genres in den verschiedensten Locations zu erleben. Ob alternative Freiluft-Veranstaltung, gigantisches Stadion-Event oder intimes Clubkonzert – ob anspruchsvolle Symphonik im Gewandhaus oder mitreißendes Musikdrama in der Oper: Hier ist tatsächlich für jeden Geschmack das Richtige dabei.

Und für Liebhaber des (geistlichen)Chorgesangs eröffnet sich vor allem in den zahlreichen Kirchen der Stadt ein wahres Eldorado. So sind zum Beispiel zur Freitags-Motette in der traditionsreichen Thomaskirche in schönster Regelmäßigkeit Spitzenchöre aus aller Herren Länder zu Gast, welche die Gemeinde sowie interessierte Musikliebhaber wie mich mit wundervollen Stimmen und im wahrsten Sinne des Wortes „himmlischen“ Klängen verwöhnen.

Und so schließt sich der Kreis: Woche für Woche darf ich nun den homogenen und einzigartigen Klang engagierter Ensembles erleben, die die Magie des Chorgesangs mit wunderbarer Leichtigkeit und doch großer Kunstfertigkeit leben.

Mein ganz persönliches Entspannungsritual am Freitagabend, mit dem der Stress der Arbeitswoche innerhalb von Minuten verfliegt und der Weg in ein besinnlich-musikalisches, wirklich erholsames Wochenende aufs Schönste geebnet wird!

Musik ist Leben… und ein Leben ohne Musik beraubt sich der wohl inspirierendsten Kunst, die uns die Welt zu bieten hat. Das wird mir, speziell in diesen Momenten, jedes Mal aufs Deutlichste bewusst.

Bildquellen: Auerbach Verlag