Es wirkt befreiend, wenn wir uns von Dingen trennen, die wir nicht mehr brauchen – und vielleicht noch nie gebraucht haben. Und dann? Woher nehmen wir die Kraft für etwas Neues, für neue Dinge, neue Wege gehen?

Wer schon einmal den Kleiderschrank ausgemistet oder endlich Ordnung auf dem Dachboden geschaffen hat, weiß, was ich meine. Und ja, mich befriedigt es auch immer wieder zutiefst, den Berg an Notizzetteln, der sich in einer Woche auf meinem Schreibtisch angesammelt hat, zu sortieren und dann den größten Teil davon zu entsorgen. Auch das befreit.

Der Moment dazwischen

Doch wenn wir genau hinschauen, entdecken wir, dass es da noch diesen Moment dazwischen gibt, den Moment, in dem das Alte nicht mehr da ist und das Neue sich noch nicht gezeigt hat. Bezogen auf Dinge, an denen wir lieber festhalten, trägt dieses Dazwischen eine unglaubliche Nacktheit, Verletzlichkeit und Angst in sich.

Denn was, wenn ich zwar die alte Wohnung schon gekündigt, aber noch keine neue gefunden habe? Wenn ich mit meinem Partner, meiner Partnerin, nicht mehr weiter zusammenleben möchte, aber ich mich schon beim Gedanken an das Alleinsein am liebsten gleich für diverse Partnerbörsen anmelden oder mir zwei Hunde und eine Katze anschaffen würde? Was, wenn der Job mich immer mehr ausbrennen lässt, aber ich keine Idee habe, was ich stattdessen machen könnte?

Sehnsucht nach Halt

Diese Zeit des Dazwischens ist für die meisten von uns nur schwer auszuhalten. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Wir brauchen ein gewisses Maß an Rhythmus, Beständigkeit und Gewohnheit. Zugleich sind diese Momente, in denen wir uns wirklich auf das vermeintliche Nichts einlassen, mit die wertvollsten, die wir vom Leben geschenkt bekommen. Denn eine Leere strebt immer danach sich zu füllen – mit Neuem, das wir jetzt vielleicht nicht einmal erahnen.

Neue Wege gehen

Vor drei Jahren stand ich mitten in diesem Nichts. Mein Verlobter hatte die Beziehung beendet. Es gab einen Wohnungsbrand. Ich hatte mich gerade selbständig gemacht. Und nun keine Ahnung, was ich tun und wohin ich ziehen sollte. Plötzlich waren all meine Pläne, die mir doch immer so sicher vorgekommen waren, weg. Keine Hochzeitsglocken mehr, kein Kindergeschrei, keine gemeinsame Wohnung. Ich war immer ein verdammt hartnäckiger Sicherheitstyp, hatte Pläne und Vorhaben, hatte alles gut durchdacht – nur diesen Plan B für den Fall, das alles wegbricht, den hatte ich nicht.

Da stand ich also, mitten in diesem Nichts. Ich hatte Angst, panische Angst. Angst davor zu fallen, meinen Weg nicht zu finden, in diesem Nichts steckenzubleiben. Es war eine intensive und oftmals sehr harte Lebensschule, keine Frage. Und doch – sie bereitete mir den Weg für alles Kommende. Denn auf diesem Weg lernte ich, mich hinzugeben – und dem Leben zu vertrauen. Ich lernte offen zu bleiben für die Wege und Möglichkeiten des Lebens, die so viel größer sind als das, was wir uns ausdenken können. Und ich lernte, wieder zurückzukommen in den jetzigen Moment, statt 22 von 24 Stunden am Tag in Zukunftsplänen festzuhängen.

Vom Kopf ins Herz

In jener Zeit wagte ich den Sprung vom Kopf ins Herz. Etwas anderes blieb mir auch gar nicht übrig, da der Verstand angesichts der aktuellen Lage ziemlich ratlos war. So schrieb ich auf, wie ich gerne wohnen würde. Schrieb auf, wie ich arbeiten wollte. Ich schrieb etwas von einem Leben am See mit Blick auf die Berge (damals lebte ich gerade in Kiel, also rund 1.000 Kilometer von jeglichen Bergen entfernt), von dem Leben in einer kreativen Lebensgemeinschaft und neuen beruflichen Möglichkeiten. Dabei hatte ich stets den Chiemgau im Kopf, wo ich kurz zuvor auf einer Reise gewesen war und wo es mir so gut gefallen hatte.

Dann vergaß ich den Zettel wieder. Einige Wochen später schickte mir eine Workshopteilnehmerin eine E-Mail: Sie sei gerade aus einer kreativen Frauengemeinschaft am Bodensee ausgezogen. Und – welch Überraschung! – ihre Wohnung wurde genau zu dem Datum frei, an dem ich bereits die Wohnung in Kiel gekündigt hatte. Der Verstand rief gleich: Du kannst doch nicht einfach an den Bodensee ziehen! Da warst du doch noch nie und kennst dort niemanden!

Staunen lernen – neue Wege gehen

Ja, es schien wirklich verrückt – doch dann fand ich den Zettel wieder. Und stellte fest, dass meine Beschreibung eins zu eins auf die Wohnung zutraf, die mir jetzt angeboten worden war. So fuhr ich runter, sah mir alles an – und zog wenige Wochen später von Kiel an den Bodensee. In der Zeit, in der ich noch gierig auf die Jagd nach Sicherheiten und Plänen ging, wäre mir so etwas vermutlich nicht passiert. So etwas Unglaubliches, Staunendes, das sich mit dem Verstand alleine nicht erklären lässt. Aber wenn wir uns öffnen für das Neue und dem Leben wieder vertrauen, erfahren wir so manches Wunder.

Vor allem wird uns bewusst, dass wir jederzeit die Möglichkeiten haben, neu zu beginnen. Dass wir nicht im Nichts steckenbleiben werden, wenn wir das Alte loslassen, sondern vielmehr noch solch große Überraschungen auf uns warten, auf die wir in unseren kühnsten Träumen nicht gekommen wären!

Wünsche zulassen

Oft ist es die Angst, die sich wie eine dicke Nebelwand über unsere Intuition und unsere Herzenswünsche legt, so dass wir keinen Zugang mehr zu ihnen bekommen und das Gefühl haben, vollkommen verwirrt und alleine im Leben zu stehen. Eine Frage, die in solchen Momenten Wunder wirkt, ist: Was würde der mutigste Teil von mir jetzt tun? Diese Frage können wir uns in allen Lebenssituationen stellen, in denen wir zögern und vor dem nächsten Schritt zurückschrecken.

Sie verbindet uns wieder mit unserer Kraft, unserer Freude und unserem Mut. Denn wir sind weit mehr als unsere Angst. Angst ist nur ein Gefühl, das kommt und wieder geht. Verbinden wir uns mit unserer inneren Kraft, werden wir eine Veränderung spüren: Die Anspannung in unserem Körper lässt nach, etwas wird wieder weit in uns, wir atmen auf. Unsere kreativen Gedanken beginnen wieder zu fließen, ein Gefühl neugieriger Freude, dieses Kribbeln im Bauch, stellt sich ein. Statt mit der Energie der Angst, sind wir nun mit der Energie der Freude verbunden – und können aus ihr heraus mutig den nächsten Schritt wagen.

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Bildquellen: Stefan Goedecke