Wohl kaum ein Gefühl wird so häufig verdrängt wie die Wut. Dabei steckt in dieser Emotion so viel Power und sie kann enorm viel Energie in uns freisetzen. Es lohnt sich also, der Wut in sich endlich Raum zu geben.

Wenn mir früher jemand gesagt hätte, dass ich eines Tages einen Artikel zum Thema Wut schreiben würde, hätte ich ihn sicher verständnislos angeschaut. Was soll ich friedliebende, ruhige Person schon darüber schreiben? Doch heute fällt mir einiges dazu ein, denn das Leben brachte mich in der Zwischenzeit häufiger in Situationen, in der ich mit meiner eigenen Wut konfrontiert wurde.

Die Beschäftigung mit dem Thema Wut begann theoretisch schon recht früh mit Mitte Zwanzig. Damals machte ich die Ausbildung zur Shiatsu-Praktikerin und lernte viel über die Fünf Elemente-Lehre und die Zusammenhänge von Organen und Emotionen. Ich verstand, dass alle Gefühle ihre Berechtigung haben und wichtig sind. Allerdings war es zu dieser Zeit ein intellektuelles Begreifen und blieb einige Jahre noch theoretisch. Dies änderte sich schlagartig, als ich Anfang Dreißig mit zwei kleinen Söhnen in die praktische Erfahrung eintauchte. 

Die Bombe platzte

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem die Bombe platze und ich meiner Wut quasi ausgeliefert war. Es war früh am Morgen und mein jüngster Sohn, damals zwei Jahre alt, weigerte sich, seine Schuhe und Jacke anzuziehen. Immer wieder schmiss er sich auf den Boden, trommelte mit den Fäusten und schrie wie am Spieß. Keine Überredungskünste konnten ihn überzeugen, er zog seine Trotz-Prozedur durch, besser als in jedem Eltern-Ratgeber beschrieben. Ich war vollkommen überfordert, diese geballte Wut präsentiert zu bekommen und war im Zeitdruck. Immerhin mussten beide Kinder los, eins in den Kindergarten und dieses schreiende Wesen zu Opa. Die Patienten in meiner Praxis waren bestellt, die Zeit lief.

Als nach dem dritten Versuch, meinem Sohn Schuhe und Jacke anzuziehen, wieder dasselbe Theater losging, spürte ich etwas Gewaltiges in mir aufsteigen. Es fühlte sich ungewohnt, fremd und irgendwie beängstigend an. Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, entlud sich dieses Gefühl in einem lauten Wutausbruch. Ich brüllte meinen kleinen Sohn an, der wie vom Donner gerührt dastand und seinen Augen und Ohren nicht traute. So hatte er seine Mama noch nie erlebt. Dieser Blick brachte mich sofort in einen anderen Zustand. Ich hatte Schuldgefühle! Schnell entschuldigte ich mich, zitterte aber noch immer innerlich, als ich im Kindergarten ankam. 

Aufgestaute Wut abbauen

Hier sind ein paar Möglichkeiten, angestaute Wut rauszulassen oder abzubauen:

– Bewege dich viel in der Natur
– Tanze häufig, um positive Energie freizusetzen
– Nutze Sport, um dich abzureagieren
– Schreie deine Gefühle einfach mal heraus 
– Lass dich vom Wald beruhigen, atme tief durch 
– Höre Musik und singe laut mit
– Reagiere dich beim Putzen oder bei der Gartenarbeit ab
– Lerne, über deine Gefühle zu sprechen
– Nimm dir die Zeit für Dehnungen und Übungen

Authentisch sein

Völlig aufgelöst berichtete ich der Erzieherin, was mir passiert war und fühlte mich wie eine absolute Rabenmutter. Und was erwiderte die Erzieherin? Sie klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Herzlichen Glückwunsch Frau Tittelmeier, dass Sie Ihren Sohn mit Ihrer Wut konfrontiert haben. Sie waren in diesem Moment authentisch, das ist das Wichtigste.“ Viele Kinder nehmen Doppelbotschaften wahr und verstehen nicht, was die Eltern wirklich empfinden. Wenn eine Mutter mit säuselnder Stimme sagt: „Marie, du sollst doch deine Jacke nicht in die Pfütze werfen“ und dabei ihre Körpersprache zeigt, dass sie innerlich sehr ärgerlich ist, versteht das Kind die Welt nicht. Sie schaute mich lächelnd an: „Also bravo, aber so wie ich Sie kenne, haben Sie sich eh für die Art und Weise entschuldigt, richtig?“

Ich bejahte und war in diesem Moment so erleichtert und ja, fast ein weinig stolz, dass ich meine Wut das erste Mal seit ich denken konnte wirklich zugelassen hatte. Sie ließ sich allerdings durch die Heftigkeit auch nicht mehr unterdrücken, sie musste raus, denn der Druck im Kessel war einfach zu groß…

Kleinkind mit Spiegel

Wie unsere Kinder uns spiegeln

Schon die Kleinsten müssen Konflikte lösen. Auch am besten so, dass sich Wut gar nicht erst lange anstaut. Dabei werden sie sich daran orientieren, wie es die Eltern oder ältere Geschwister miteinander händeln, wenn sie nicht einer Meinung sind. Manch einer wird als Mutter oder Vater erschrecken, wenn sie in den von ihrem Sprössling vorgehaltenen Spiegel schauen. Oft ahnen Eltern nicht, wie viel die Kinder bei den Gesprächen oder gar Auseinandersetzungen der Eltern mitbekommen. Glück hat der, der selbstkritisch beim nächsten Streit daran denkt und für sich und damit auch für seinen Nachwuchs Regeln des Streitens aufstellen kann. Eltern, die respektvoll streiten, sind ein guter Lehrmeister für die Entwicklung sozialer Kompetenzen ihrer Kinder.

Ventile für die Wut finden

Von nun an versuchte ich, meiner Wut einen Platz im Leben einzuräumen, damit sich nicht wieder so viel ansammeln sollte. Ich lernte das Gefühl in mir wahrzunehmen und angemessener auszudrücken. Außerdem suchte ich nach einem Ventil, um in extremeren Situationen aggressive Wutgefühle herauslassen zu können. Da kam das Holzhacken im Wald gerade recht. Wir hatten uns einen Ofen zugelegt und brauchten jede Menge Holz. Bereits als Kind und Jugendliche hatte ich Erfahrung im Umgang mit einer Axt gesammelt, doch nun erfüllte diese Aufgabe noch einen weiteren Zweck. Ich ließ meine Wut heraus und reagierte mich richtig ab. Bei jedem Schlag ins Holz spürte ich, wie sich etwas in mir löste. Mein Mann ermutigte mich, dabei einen Schrei herauszulassen. Oh, das war zunächst eine Überwindung. Aber dann begann es mir zu gefallen. 

Ich spürte, welch Energie ich freisetzen konnte und wie frei und lebendig ich mich auf einmal fühlte. Das Kraftpotential wurde mir damit bewusst und es war eine Genugtuung, mit einem lauten Schrei und kraftvollen Schlag die Holzscheite zu spalten. Unsere beiden Jungs waren übrigens auch von klein auf mit dabei und lernten früh, mit der Axt umzugehen. Es war immer schön zu erleben, wie entspannt und glücklich sie zuhause ankamen.

Nun hat nicht jeder die Möglichkeit, im Wald Holz zu hacken. Doch kann eine simple Holzhack-Übung einen ähnlichen Effekt erzielen. Eine entsprechende Anleitung ist hier im Kasten aufgeführt.

Frau mit Axt und Holz

Holzhack Übung

Der Klassiker: Stell dich mit etwas ausgebreiteten Beinen hin und stell dir vor, dass du ein Holzscheit spalten möchtest. Schwinge eine gedachte Axt in die Höhe und lasse sie dann plötzlich nach unten schnellen, um das Holz zu spalten. Wenn du die Wirkung verstärken möchtest, kannst du dabei ein lautes „Ha“ rufen. Wiederhole die Übung mehrmals und spüre anschließend in dich hinein. Kannst du mehr Leichtigkeit und Entspannung in dir wahrnehmen?

Wo die Wut wohnt

Nach der Fünf Elemente-Lehre gehört die Emotion Wut zum Element Holz und steht damit in Verbindung mit den Organen Leber und Gallenblase. Ist es nicht interessant, dass es so viele Sprichwörter gibt, die dies bezeugen? Wie oft sagen wir: „dir ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen“ oder: „ da läuft einem die Galle über“. Beide Organe leiden darunter, wenn wir unsere Wut dauernd unterdrücken. Geschieht dies über viele Jahrzehnte, können sich sogar Gallensteine bilden. Auch Migräne, Kopfschmerzen, Nackenverspannungen, nächtliches Zähneknirschen oder ständige Müdigkeit können entstehen, wenn die Holzenergie stagniert. Als Entgiftungsorgan muss unsere Leber sowieso schon enorm viel leisten. Ersparen wir ihr daher lieber eine zusätzliche Belastung mit gestauten Emotionen.

Was triggert uns alles?

Ich könnte viele Anekdoten über das Thema Wut zum besten geben. Da fallen mir sofort Stichworte wie Schwiegermutter, Schule, Autofahren und viele mehr ein. Aber damit möchte ich hier den Rahmen nicht sprengen. Lieber erzähle ich davon, dass gerade kürzlich noch einmal eine riesige Wutwelle in mir losgetreten wurde. Eine Situation im Außen hat mich derart aufgeregt und zur Weißglut gebracht, dass ich noch einmal erleben durfte, dass sich wohl doch wieder sehr viel in den vergangenen Jahren angesammelt hatte. Sicher bin ich damit nicht alleine, denn wir alle wurden immer wieder mit Nachrichten konfrontiert, die viel Sprengstoff hatten, das eigene innere Gleichgewicht aus dem Lot zu bringen. Bis heute gibt es viele Gründe, über vieles wütend zu sein oder auch Ohnmacht und Resignation zu spüren. Da ist es wichtig, sich bewusst zu werden, was wir selber aktiv tun können, um die Situation zu verbessern. Und auch hier gilt: Ohne uns selbst zu heilen, heilen wir auch das Außen nicht.

Aktiv werden gegen Wut

Manchmal hilft es schon, sich mit einer Freundin oder dem Partner auszutauschen und zu spüren, dass jemand da ist, der Verständnis zeigt und die Gefühlslage nachvollziehen kann. Jemand, der sich von unserem Wutstau nicht verletzen lässt. Oder es ergeben sich neue Gruppen und Verbindungen, in denen man neue Impulse setzen kann, die das Außen im eigenen Umfeld verbessern.

Auch sportliche Aktivitäten können enorm dazu beitragen, mit Ärger und Anspannung besser fertig zu werden. Nach einer Joggingrunde im Park fühlt man sich oft erleichtert und beschwingt und versteht manchmal gar nicht, warum die Wut im Vorfeld so stark und dominant war. Besonders gut helfen kann auch ein Tennismatch oder eine Runde Badminton, denn dabei ist der Armschwung und die Kraftentladung natürlich besonders intensiv. Manchen hilft auch ein Spaziergang durch den Wald. Hier ist es die friedliche Stimmung und die Schönheit der Natur, die eine beruhigend und heilsam wirkt. 

Frau boxt Sandsack

Dehnungen & Akupressur

Wenn die Energie des Holzelements stagniert, sind der Leber- und Gallenblasenmeridian meist fühlbar angespannt. Spezielle Dehnungen können helfen, die Meridiane (Energieleitbahnen) durchlässiger und geschmeidiger zu machen. Manchmal dauert es eine Weile, bis die Dehnungen weniger deutlich zu spüren sind. Es empfiehlt sich daher, sie regelmäßig im Alltag durchzuführen. Eine Anleitung gibt es hier in einem der Kästen zu sehen.

Auch Akupressur kann helfen, die Leberenergie aus dem Kopf abzuleiten. Nach der östlichen Sichtweise kommt es bei einem Ungleichgewicht des Holzelements mit gestauter, verdrängter Wut häufig zu einer hochschießenden Leberenergie, die Kopfschmerzen oder gerötete Augen mit sich bringen kann. Das Drücken bestimmter Akupressurpunkte bringt die Energie wieder herunter und löst die zu hohe Anspannung im Kopfbereich. Es empfiehlt sich, den Punkt für zehn Sekunden zu halten und die Behandlung dreimal zu wiederholen.

Meridian Dehnübungen und Akkupunktur

Akupressur-Tipp:
(bitte nicht in der Schwangerschaft anwenden!)
Lage: zwischen dem ersten und zweiten Mittelfußknochen, zwei Daumen unterhalb der Zehen
Mit Daumen oder Zeigefinger Druck Richtung 1. Mittelfußknochen ausüben, 10 Sekunden halten und dreimal wiederholen 

Lebermeridian:
Winkle im Sitz auf dem Boden das linke Bein an, so dass der Fuß den Oberschenkel berührt. Verlagere das Gewicht auf die linke Gesäßseite und drehe das rechte Bein etwas nach innen, bis der Fuß mit der Innenseite auf dem Boden aufliegt. Achte darauf, den Oberkörper aufrecht zu halten und stütze dich mit dem Arm am Boden ab. Löse nach einigen Atemzügen diese Haltung und lockere die Beine, bevor du die Dehnung auf der anderen Seite wiederholst.

Gallenblasenmeridian:
Begib dich in den Vierfüßerstand und strecke den rechten Arm und das rechte Bein nach oben. Drehe nun die rechte Körperseite nach oben und lass das Bein und den Arm Richtung Boden sinken, sodass die rechte Körperseite einen Bogen beschreibt und gedehnt wird. Atme tief in diese Seite und wechsel danach die Seite.

Fazit

Wenn es uns gelingt, der Wut in unserem Leben Raum zu geben und die Holzenergie zu befreien, stehen uns neue Kraftpotentiale zur Verfügung. Indem wir lernen, die Emotion Wut anzunehmen und auszudrücken, ohne andere damit zu verletzen, sind wir in der Lage, uns selbst neu zu erleben und mit uns und der Welt ins Reine zu kommen. Die genannten Bewegungen, Übungen und Eigenbehandlungen können uns auf diesem Weg sinnvoll unterstützen.

Ich wünsche uns allen den Mut, sich mit der eigenen Wut auseinanderzusetzen und sie im positivsten Sinne zu nutzen.

Antje Tittelmeier

Über die Autorin
Antje Tittelmeier

Die Physiotherapeutin mit Ausbildungen in Yoga, Ayurveda, Shiatsu und Fußreflexzonentherapie arbeitete über 14 Jahre in eigener Praxis. Sie gibt ihr Wissen und ihre Erfahrungen als Autorin, Coach und Kursleiterin weiter. Als Filmproduzentin liegt es ihr am Herzen, Gesundheitsthemen im Videoformat zu verbreiten. So hat sie das Magazin „GesundheitsTipp.TV“ ins Leben gerufen, in dem hilfreiche Tipps und Informationen zu gesunder Lebensweise vorgestellt werden.
www.gesundheitstipp.tv

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