Überall liest man davon, dass die Menschen auf der Suche nach dem Glück sind. In zahllosen Ratgebern gibt es zahllose Tipps, sich unaufhaltsam seinem ganz persönlichen Glück zu nähern. Das beginnt mit dem Zurechtrücken des eigenen „Glücksmaßstabes“ und der Wertschätzung des „kleinen“ Glücks, geht über die Schaffung von Klarheit, welche Hindernisse wegzuräumen und welche Schritte in welcher Reihenfolge dann zu tun sind, bis hin zu völlig richtigen Anregungen, sich glücklich zu tanzen oder gar sich glücklich zu essen.

Denn wer will nicht gerne glücklich sein? Wer will nicht die vollkommene Ausgeglichenheit, das prickelnde Hochgefühl der Zufriedenheit, das Fehlen aller Ängste und bedrückender Gedanken spüren, immer wieder, jeder Zeit, in allen Facetten? Klar, ich schließe mich da nicht aus. Und ich habe im Leben auch eine Menge gelernt, weiß, was diesen Zustand bei mir auslöst, kann ihn genießen.

Aber inmitten von Glücksratgebern und Stimmungsaufhellern drängt es mich immer mehr, eines laut und deutlich zu sagen: Ich will auch mal unglücklich sein dürfen! Ich will auch mal Momente der tiefsten Verzweiflung, des Verlustes, der grenzenlosen Trauer spüren. Und Gelegenheiten dazu gibt es immer wieder: das Zerbrechen einer einst grenzenlosen Liebe, der Verlust von einem nahestehenden Menschen, berufliche oder gesundheitliche Schicksalsschläge – alles, was vielen Anderen auch nicht fremd sein dürfte. Nun bin ich kein Masochist oder der geborene Märtyrer, und es sind keine Depressionen, die mich durch den Tag begleiten. Trotzdem glaube ich ganz fest daran, dass all dies dazu gehört, dazugehören muss.

Natürlich heißt das nicht, jeden Moment der Verzweiflung jetzt auch noch zu genießen oder ihn sofort unter „muss ja auch mal sein“ abzuhaken. Das geht nicht, das kann keiner von uns. Aber es hilft ja schon, sich ganz tief im Innern das Wissen um das große „Gefühlspendel“ zu bewahren. Zu wissen, dass es ohne Tiefen gar keine Höhen gibt, zu wissen, dass genau dieser „Höhenunterschied“ ein erfülltes Leben ausmacht  – vielleicht sogar unabhängig davon, an welchem Punkt das Leben zu Ende geht…

Wie auch immer, eines weiß ich: Wenn man die größte Verzweiflung gespürt und durchgestanden, Momente der tiefsten Trauer erlebt und sie verarbeitet hat, dann ist das Lächeln auf dem eigenen Gesicht ein anderes, ein wärmeres als vorher. Die Sonne hat es leichter, ins Herz zu dringen, trotz aller Narben. Alles um einen herum vermag einen weniger dauerhaft zu verletzen oder zu bedrücken. Daran glaube ich und das erlebe ich täglich immer wieder neu. Und es macht mich ein ganzes Stück glücklicher…

 

Mehr über das Suchen und Finden des kleinen und großen Glücks gibt es in der aktuellen Auszeit 4/2015 zu lesen.

Bildquellen: Raphael Hilliger