Wir denken häufig, dass wir dem Schicksal ausgeliefert sind, doch in Wahrheit haben wir vieles selbst in der Hand. Ein gesundes Selbstwertgefühl kann dabei helfen, genau diese Dinge anzupacken.

Wer sich selbst schätzt und den eigenen Wert kennt, lässt sich nicht von Situationen beirren, die den geplanten Lebensweg verändern. Doch was hat es mit der Selbstwertschätzung auf sich? Wie viel davon ist gesund und was kannst du tun, wenn du dich selbst zu wenig schätzt? Der Psychologe differenziert zwischen Selbstbewusstsein und Selbstwert. Den Untschied erklären zwei Aussagen. Eine stammt von einem selbstbewussten Menschen, der andere hat ein gesundes Selbstwertgefühl:
„Ich kann ziemlich gut kochen, meine Freunde werden sich sicher bei mir wohlfühlen.“
„Meine Freunde sind gern bei mir, das weiß ich.“

Aus dem ersten Satz spricht Selbstbewusstsein. Diese Person weiß, dass sie gut kochen und die Freunde bewirten kann. Durch viele positive Erfahrungen, erfolgreiche Kochabende und Zustimmung der Freunde ist Selbstbewusstsein entstanden. Gut kochen zu können ist aber nichts, was mit der eigenen Person direkt zu tun hat. Das ist eine erlernte Fähigkeit. Es ist zwar gut, darauf zu bauen und sich deswegen gut zu fühlen, doch Selbstwert geht einen Schritt weiter.

Im zweiten Satz steckt die Aussage: Ich bin ein wertvoller Mensch und deswegen sind meine Freunde gern hier. Nicht, weil ich gut kochen kann – das finden sie auch toll, aber sie sind hauptsächlich deswegen meine Freunde, weil ich gute Freunde verdiene. Denn ich bin ein wertvoller Mensch. Diese Art von Selbstwertschätzung ist bedingungslos, sie hängt nicht daran, wer wir sind und was wir können.

Ein Balanceakt

Die Selbstwahrnehmung eines Menschen bewegt sich auf einem Spektrum zwischen zwei Extremen: Minderwertigkeitskomplexen und Narzissmus. Die meisten gesunden Menschen liegen in der Mitte dieses Spektrums. Wer glaubt, nicht gleich wertvoll wie alle anderen zu sein, entwickelt dadurch das Gefühl, minderwertig zu sein. Er oder sie muss mehr tun, sein und leisten als andere, um gleich wertvoll zu werden.

Solche Menschen nehmen von anderen viel zu viel hin, denn ihr Unterbewusstsein redet ihnen ein, sie hätten nichts Besseres verdient. Ein übersteigertes Selbstwertgefühl dagegen ist charakteristisch für narzisstische Persönlichkeiten. Hierbei handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung, die schwere Auswirkungen auf den Betroffenen und seine Mitmenschen haben kann. Denn das übersteigerte Selbstwertgefühl führt dazu, dass andere in der Folge abgewertet werden.

Im Laufe eines Lebens verändert sich die Selbstwertschätzung. Das passiert situativ, aber auch über lange Zeiträume hinweg. Beispielsweise haben Teenager in der Pubertät oft ein viel zu niedriges Selbstwertgefühl, denn sie durchlaufen verunsichernde Veränderungen und führen im Alltag mit ihren Gleichaltrigen oft kein leichtes Leben. Die Selbstwertschätzung kann auch dadurch sinken, dass man den Job verliert, sich vom Partner trennt, die Richtung im Leben sucht oder keine Zufriedenheit empfinden kann. Ein Hoch erleben wir, wenn wir Erfolge feiern, wichtige Meilensteine erreichen oder gute Freundschaften oder eine liebevolle Partnerschaft erleben.

Selbstwertgefühl stärken
Gute Glaubenssätze fürs Selbstwertgefühl sind:
* Eigenschaften, die du an dir selbst magst
* Erfolge
* Stärken und liebenswerte Schwächen
* Lobende Worte und geäußerte Wertschätzung durch Freunde und Kollegen
* Erinnerung an Momente, in denen du deine eigenen Zweifel überwunden hast

Selbstwertgefühl von innen und außen

Die Frage ist, woher der Zuspruch, die Motivation kommt, uns selbst mehr zu schätzen. Die Psychologie kennt zwei Arten: Die extrinsische Motivation kommt von außen, beispielsweise dadurch, dass andere uns sagen, dass wir gut in etwas sind oder Talent haben. Das spornt an, damit weiterzumachen. Allerdings hält dieser Effekt nur kurz an, wirkt gewissermaßen wie Traubenzucker. Ist der Zucker aufgenommen und verstoffwechselt, ist auch seine Wirkung weg.

Die intrinsische Motivation ist nicht so einfach zu bekommen, denn sie kommt von innen. Sie ist wie ein körpereigenes Vitamin. Es braucht Zeit, sie herzustellen, doch wenn wir genug davon haben, brauchen wir nicht ständig nach Motivation von außen zu suchen. So ist es auch mit der Selbstwertschätzung: Kommt diese aus einer inneren Quelle, haben wir viel länger etwas davon und sind vor allem auch unabhängig davon, dass andere uns unseren Wert immer wieder bestätigen.

„Wichtig ist eine Balance zwischen Selbstwert von innen und der Bestätigung von Außen.“

Wir wissen selbst, dass wir wertvoll sind und können aus diesem Wissen die Kraft schöpfen, die es braucht, um unser Leben selbst in die Hand zu nehmen. Weil eine gesunde Selbstwertschätzung ein gutes Fundament dafür ist, es mit den Veränderungen des Lebens – ob gewollt oder nicht – aufzunehmen.

Die intrinsische Art von Selbstwertschätzung ist weder besser noch schlechter als die extrinsische, sondern anders. Ohne ein inneres Selbstwertgefühl können andere uns noch so gut zureden, unsere innere Stimme wird immer dagegen reden. Wichtig ist eine Balance zwischen Selbstwert von innen und der Bestätigung durch außen.

Akzeptanz

„Andere sind besser, klüger, schöner als ich.“
Bin ich verantwortlich dafür, dass mein Partner in unserer Beziehung nicht mehr glücklich ist?“
All diese Aussagen stammen von Menschen mit geringer Selbstwertschätzung. Als weitere Gemeinsamkeit deuten sie alle darauf hin, dass sich hier etwas ändern, bessern muss. Sie deuten auf Unzufriedenheit hin, denn wer will schon für das Unglück des Partners verantwortlich sein oder hinnehmen, dass andere besser sind?

„Die Anderen haben genau wie ich Fehler und Stärken, jeder ist einzigartig und das ist auch gut so.“
„Mein Partner ist unglücklich, doch mehr als Gespräche und Lösungen anzubieten kann ich nicht. Für seine Gefühle ist er selbst verantwortlich.“

Das liest sich schon eher nach Zufriedenheit. Hinter jeder Aussage steht ein Punkt – und Akzeptanz.

Was muss ich ändern?

Jede Situation ist anders und wer ein zu niedriges Selbstwertgefühl hat, hat dieses aus vielen verschiedenen Gründen. Deswegen ist zunächst die Frage interessant, warum das so ist und ob es Faktoren gibt, die einem gesunden Selbstwertgefühl aktuell noch im Weg stehen. Die zentrale Frage dabei lautet: Was hält mich heute davon ab, ein gesundes Selbstwertgefühl zu haben? Wie kann ich diese Faktoren verändern oder beseitigen?

Eine gern genutzte praktische Übung, um das Selbstwertgefühl aufzubauen, sind Glaubenssätze. Das sind kurze, starke Statements, die man bestenfalls dorthin hängt, wo man täglich mehrmals mit der Botschaft konfrontiert wird. Hänge sie beispielsweise an den Badezimmerspiegel, den du jeden Morgen benutzt. Der Sinn hinter solchen Glaubenssätzen ist, dass du sie so oft siehst, bis die Botschaft einsinkt. Es bringt natürlich nichts, sich selbst zu betrügen. Du solltest dir also keine positiven Eigenschaften zuschreiben, an die du selbst nicht glaubst.

Innere Kraft finden

Selbstwertgefühl aufbauen ist wichtig, doch mindestens genauso wichtig ist es, zu erkennen, wenn du dich selbst nicht wertschätzt. Das passiert unterbewusst und kann daher schwierig zu erkennen sein. Wenn du allerdings selbst merkst, dass es so ist, dann kannst du bewusst eingreifen und die Gedanken ins Gegenteil umkehren. Du merkst das, wenn sich eine Situation für dich nicht gut anfühlt, du dir von deinen Mitmenschen ein anderes Verhalten dir gegenüber wünschst oder das Gefühl hast, dass in einer bestimmten Situation etwas dir gegenüber nicht fair abläuft.

Warum akzeptierst du das? Warum lässt du das so passieren? Was wäre dir stattdessen lieber und was hält dich davon ab, das genau so einzufordern? Du wirst bestimmt schnell darauf kommen, dass ein Teil von dir fälschlicherweise glaubt, nichts Besseres als das zu verdienen, denn andernfalls würdest du das so nicht hinnehmen. Übe dich in Achtsamkeit. Höre hin, wenn deine Intuition dir sagt, dass die Situation nicht so abläuft, wie sie sollte.

Hinterfrage, warum du dir selbst nicht mehr Selbstwertschätzung entgegen bringst. Du kannst dann ganz logisch gegen die innere Stimme argumentieren, die dir einreden möchte, dass du es nicht verdienst, so behandelt zu werden wie jeder andere Mensch – und zwar ohne eine Form der Gegenleistung. Und wenn dir das gelingt, bist du dafür gewappnet, auch den größten Stürmen entgegen zu treten, die dein Leben für dich bereit hält.

Ein Selbsttest für dich
5 Punkte, die auf gesunde Selbstwertschätzung hindeuten:
* Andere Menschen sind nicht weniger oder mehr wert als du, sondern genau gleich viel
* Du musst dich nicht ständig unter Beweis stellen, z. B. durch tolle Arbeitsleistungen oder große Hilfsbereitschaft
* Angegriffen oder gekränkt fühlst du dich eher selten
* Du lässt dich nicht davon leiten, was andere über dich denken könnten
* Du hast Fehler und Schwächen, die du auch anerkennst, fühlst dich dadurch aber nicht wie ein schlechter Mensch

Dieser Artikel stammt aus dem AUSZEIT-Magazin, das noch viele weitere tolle Themen für Euch bereithält.

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Bildquellen: Photo by Kinga Cichewicz on Unsplash