Ein neues Gesetz hier, ein Verbot oder eine Verordnung da, der Verwaltungsapparat bläst sich immer weiter auf, wird immer unüberschaubarer, ein beinahe undurchdringlicher Dschungel. Alles wird bis ins kleinste Detail kategorisiert, genormt, geregelt – für uns geregelt. Doch geschieht das alles wirklich FÜR uns?

Nehmen uns all diese Vorschriften und Verbote nicht viel mehr weg, als sie uns bringen?

Es mag vordergründig den Anschein erwecken, dass, wenn es für alles Regeln gibt, das Zusammenleben einfacher wird. Ich behaupte: das Gegenteil ist der Fall!
Je mehr wir von außen gegängelt werden, umso passiver oder aber auch destruktiver werden die Menschen. Die einen fühlen sich machtlos, die anderen entwickeln kreative Ideen um Regeln zu brechen oder Gesetze zu umgehen. Ich höre schon die Aufschreie einiger: „Ja, aber wir brauchen doch Regeln, wo bliebe denn sonst die Moral!“ Ich bin der Meinung, die Moral geht gerade deswegen flöten. Wo nur noch Bürokratie herrscht, bleibt die Menschlichkeit auf der Strecke. Mit Menschlichkeit meine ich hier vor allem die Fähigkeit zu denken und eigene Überlegungen anstellen zu können.

Ein Moralverständnis zu haben ist nichts, das von außen initiiert oder eingefordert werden kann, es wohnt uns inne.

Jeder Mensch weiß in seinem tiefsten Inneren was gut und richtig ist, wir können es fühlen. Anstatt Vorgaben, wie wir uns verhalten sollen, brauchen wir, am besten schon von klein an, Vorbilder und Menschen, die dieses innere Wissen in uns wachrufen und stärken.

Nehmen wir zum Beispiel an, ein Kind nimmt einem anderen Kind in der Sandkiste seinen Kübel weg. Wenn es jetzt das Verbot bekommt: „Das tut man nicht!“ wird es mit dieser Aussage nicht viel anfangen können. Es bekommt zwar mit, dass sein Verhalten nicht erwünscht ist, aber der Wunsch, den Kübel haben zu wollen, bleibt. Sagt ein einfühlsamer Mensch dem Kind: „Ich weiß du möchtest den Kübel gerne haben. Aber wie würdest du dich fühlen, wenn Max dir deinen Kübel wegnimmt?“ wird eine ganz andere, viel tiefere Ebene angesprochen. Das Kind fühlt sich wahrgenommen und bekommt angeboten sich in die Lage des anderen Kindes zu versetzen. Es lernt sich einzufühlen und seine Handlung aus dieser Warte zu betrachten.

Wir sind längst erwachsen und nicht jeder hatte solch einfühlsame Menschen an seiner Seite. Vielen ist das Gefühl für richtig und falsch dabei (beinahe) abhandengekommen, vor allem das Gefühl füreinander.

Wir geben gern anderen die Schuld oder den Umständen, wir verschleiern Tatsachen, verhüllen Ursachen.

Die Gründe dafür sind ähnlich gelagert wie bei dem Kind, das hört: „Das macht man nicht!“. Es fehlt das Verständnis für die Beweggründe und den Sinn, der hinter ‚Du sollst und du sollst nicht‘ liegt.
Es liegt also auf der Hand wo wir ansetzen müssen: es wird Zeit unsere Passivität aufzugeben und Fähigkeiten wie ‚Einfühlsamkeit‘ und ‚Eigenveranwortlichkeit‘ zu entwickeln bzw. zu stärken.

Sobald wir die Verantwortung für unsere Gedanken, unsere Gefühle und unser Handeln (wieder) übernehmen, fühlen wir uns nicht länger machtlos und nichts und niemandem mehr ausgeliefert.

Das macht uns frei und bringt uns, zum Wohle aller, in unsere eigene Kraft zurück.

Der Gebot- und Verbot-Dschungel wird sich dadurch nicht von heute auf morgen auflösen. Aber wenn wir dranbleiben und uns gegenseitig dabei unterstützen, können wir dieser unheilvollen Entwicklung entgegenwirken, sie gemeinsam wieder in sinnvolle Bahnen lenken.