Japan ist für viele ein Sehnsuchtsziel. Wir verbinden damit harmonische Zen-Gärten, Teehäuser und Frauen in bunten Seiden-Kimonos. Allein beim Gedanken daran fühlen wir unns gleich wohlig und entspannt. Was viele nicht wissen: Japan ist auch ein Land mit einer jahrtausendealten Badekultur.

Wir Deutsche haben ja ein eher sachliches Verhältnis zum Wannenbad. In erster Linie dient es uns der Körperhygiene, gut, ein bisschen entspannend soll es natürlich auch sein. Aber wenn wir uns einmal richtig Zeit nehmen, die Badewanne voll laufen lassen und ringsherum unser ganzes Sammelsurium an Teelichtern aufbauen, dann haben gerade wir Frauen sofort die Warnung im Hinterkopf, dass wir bitte nicht allzu lange in der heißen Wanne liegen bleiben sollen – der Venen wegen. Für die Japaner hingegen ist das Bad in seinen verschiedenen Formen ein ganz natürlicher, fast spiritueller Akt, der das tägliche Leben begleitet.

In erster Linie ist dies sicherlich den geologischen Gegebenheiten geschuldet, die das Land so einzigartig machen. Japans Inseln liegen auf einem vulkanisch hoch aktiven Gebiet. Man sagt, wer in Japan ein Loch in den Boden gräbt, wird früher oder später auf eine heiße Quelle stoßen. Daher machten sich die Menschen schon früh diese unterirdischen Wasseradern zunutze und wissen um ihre heilsame Wirkung.

Begegnungen

Wie auch in den europäischen Ländern war es in den vergangenen Jahrhunderten in Japan nicht üblich, zu Hause über ein eigenes Badezimmer zu verfügen. Überall im Land gab es dafür öffentliche Badehäuser. Diese verstanden sich über den Akt des Reinigens und der Entspannung hinaus auch als Orte der Kommunikation und des Austauschs. Und sind es bis heute. Mit dem Wunsch nach Individualität besitzen die meisten Japaner heute zu Hause ihr eigenes Badezimmer. Der Gang in ein Badehaus hat aber noch immer eine große kulturelle Bedeutung.

Eine hohe Kunst

Das Zelebrieren des japanischen Baderituals folgt immer gewissen Abläufen und Regeln. Deren Grundlage genau wie bei der Teezeremonie die vier Grundsätze wa-kei-sei-jaku bilden, also Harmonie, Ehrfurcht, Reinheit und Stille. Wenn man ein Badehaus betritt, taucht man dabei direkt in eine neue, inspirierende Welt ein. Am Anfang der Badezeremonie steht die Reinigung des Körpers. Hierfür stehen kleine Holzschemel bereit, auf die man sich setzt und sich mit einem Wasserschlauch abduscht.

Traditioneller – und irgendwie auch ­schöner – ist die Variante, bei der man einen kleinen Holzbottich füllt und den Inhalt nach und nach über sich gießt. Auf diese Weise wird der Körper auf das eigentliche Bad vorbereitet. Ein weiterer psychologisch wichtiger Aspekt: Die Ankunft im Badehaus und das Reinigen bedeutet spätestens jetzt auch ein inneres Loslassen des „Äußeren“.

Im Badehaus bekommt man immer zwei Handtücher gereicht; ein kleines und ein großes. Das große Tuch bleibt im Umkleideraum – mit dem kleinen kann man sich nach der Reinigung schon ein bisschen abtupfen. Im Verlauf der Badezeremonie wird es dann stilecht zusammengefaltet und bleibt während des Bads im heißen Wasser auf dem Kopf liegen.

Strenge Regeln
In den Badehäusern Japans badet man nach Geschlecht getrennt. Um peinlichen Missverständnissen vorzubeugen, sollte man sich im Bad an den Schildern orientieren. Diese sind für Frauen in Rot, für Männer in Blau gehalten. Früher war das Betreten eines Badehauses Menschen mit Tätowierungen nicht gestattet. Heute sieht man das ein wenig lockerer, man sollte sich aber vor dem Besuch im Badehaus seiner Wahl darüber informieren. Kleinere Tattoos kann man mit einem Pflaster überkleben.

Der Wald im Bad

Der wichtigste Grundgedanke des japanischen Baderituals ist immer die ganzheitliche Erfahrung im Einklang von Mensch und Natur. Das Erleben mit allen Sinnen. So bildet Holz auch ein wesentliches Element, das man in vielerlei Formen verarbeitet wiederfindet. Für die Ausstattung der Bäder werden gerne Nadelhölzer verwendet, die als besonders robust gelten.

Neben einer äußerst dekorativen Maserung bringen die Hölzer aber auch noch einen anderen Vorteil mit sich. Ihren ganz speziellen Duft, der sich über Jahre hält. Der Effekt ist zu vergleichen mit einem Spaziergang im Wald oder dem derzeit so beliebten „Waldbad“. Das Einatmen frischer Waldluft versetzt uns Menschen in einen Zustand der Erholung und kann wie eine Entspannungstherapie wirken. Wir befreien den Kopf von Überflüssigem, die Gedanken werden klarer, der Geist wird wieder frei und offen für Neues.

Harmonisierende Wärme

Wir Europäer besuchen Thermalbäder bevorzugt in der kälteren Jahreszeit. Im Sommer erfrischen wir uns dagegen lieber an einem See oder im Freibad. Japaner suchen ihre Badehäuser zu jeder Jahreszeit auf. Der Grund ist einfach erklärt: Durch das Bad im warmen Wasser bringen sie den Körper auf eine angenehme „Betriebstemperatur“. Dadurch schwitzt oder friert man nicht so leicht und der Körper ist weniger gestresst. Er muss sich nicht fortwährend mit dem Ausgleichen von starken Temperaturunterschieden herumschlagen.

Nach dem Prinzip „Den Kopf kühl, die Füße warm – wie die Blumen“ badet man im japanischen Thermal-Becken nur bis zu den Schultern. Die mineralischen Substanzen im Wasser bewirken dabei viele positive körperliche Reaktionen im Körper, die über die bloße Entspannung hinausgehen. Gerade für Frauen ist es auch interessant zu wissen, dass sich das Thermalwasser auch wohltuend auf die Haut auswirkt. Die nach einem Bad wunderbar weich und glatt ist.

Ganzheitliche Erfahrung

Baden ist nicht nur als Mittel zur körperlichen Reinigung zu verstehen. Vielmehr reinigt man damit auch die Seele von Sorgen, Ängsten und Nöten. Umso mehr, wenn man sich Zeit nimmt, das Bad in Ruhe zu zelebrieren. Die Konzentration auf die eigene Körperlichkeit kann eine heilende, fast „erlösende“ Wirkung haben und ist sicher manch schnellem Freizeit-Kick, wie wir ihn heute oft suchen, vorzuziehen. Im Wasser fühlt man sich zudem frei und beinahe schwerelos, was sich wiederum positiv auf das Gemüt auswirkt. In der Japanischen Kultur wird das Baden auch als Form verstanden, die Selbstheilungskräfte des Körpers zu aktivieren. Und das nicht nur aus physischer, sondern – gemäß dem ganzheitlichen Gedanken – auch aus psychischer Sicht.

Die Vorstellung, sich in einem heißen Thermal-Becken vor malerischer Kulisse niederzulassen, ist verlockend. Doch so ein befreiendes Erlebnis können wir auch Zuhause haben. Wir müssen uns nur die nötige Zeit und Ruhe nehmen, damit aus einem einfachen Bad ein Ritual für Körper und Geist wird.

Dieser Artikel stammt aus dem AUSZEIT-Magazin, das noch viele weitere tolle Themen für Euch bereithält.

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