Gefangen im Irrgarten der Gewürze scheint kein Kraut gegen die vorherrschaftlichen Mauern des Salzes gewachsen zu sein. Dabei gedeihen im Schatten des Klassikers frische Alternativen, die sehnsüchtig auf neue Entdecker warten: Kräuter.

Grün, aromatisch, intensiv und dazu noch ein echter Hingucker: Die Welt der Kräuter ist riesig und erlebt auf kulinarischer Ebene einen echten Aufschwung. Das Kochen und Würzen mit frischen und getrockneten Kräutern hat sich zum Trend entwickelt und wird auf immer kreativere und köstlichere Art und Weise bei der Zubereitung von Gerichten zelebriert. Kein Wunder, denn Kräuter sind Alleskönner, bei denen es sich nicht nur um beliebiges Grünzeug handelt.

Getarnt in Normalität

Lässt man ein frisches Bündel Minze durch seine Hände gleiten, könnte man einen Augenblick in Verwunderung geraten und seinem verdutztem Inneren die Frage stellen, in welchem Punkt sich das so gewöhnlich wirkende Gewächs von herkömmlichen Pflanzen unterscheidet. Doch spätestens, wenn das Kräutersträußchen außer Sichtweite gerät und einem die wunderbar erfrischenden Düfte der Minze von den Fingern in die Nase schießen, sollte die Antwort schnell gefunden sein. Die speziellen, vielfältigen Geschmacks- und Geruchseigenschaften der Kräuter machen sie zu dem, was sie sind und ganz nebenbei zu einem unvergleichlichen Bestandteil unserer Ernährung.

Den Wenigsten ist jedoch bei der Verwendung von frischen oder getrockneten Kräutern wirklich bewusst, wie prall gefüllt der Kompetenzkatalog der quirligen Gewächse ist, die da auf dem Schneidebrett zerhackt werden. Die Tatsache, dass eine Hand voll Brunnenkresse den Vitamin- und Mineralstoffgehalt eines knackigen Apfels besitzt und somit erheblich zur Stärkung des Immunsystems beiträgt, sollte jeden Kräutergärtner vom Pflanzschemel hauen. Doch das Beste kommt erst noch! Wer frische und getrocknete Kräuter, ausgestattet mit ihren vielfältigen Aromen, zum Würzen seiner Gerichte verwendet, kann seinen Salzkonsum, der hierzulande für Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen verantwortlich gemacht wird, erheblich reduzieren. Ein genialer Schachzug der Natur, oder?

Es gibt immer etwas zu entdecken

Mysteriös ist aber die genaue Entstehung der unzähligen Geschmacksrichtungen innerhalb der Pflanzen, sei es die typische Schärfe der Brunnenkresse, die leichte Bitterkeit des Rosmarin oder die zwiebelartige Säure des Bärlauch. Kundige Gelehrte munkeln, dass Kräuter geheimnisvolle Stoffe in sich tragen, welche sie vor äußeren Faktoren schützen, aber von unserem Geschmackssinn als wohlschmeckend interpretiert werden.

Ebenfalls von fürstlichem Interesse, gerade bei der Zubereitung von Gerichten, ist das wunderbare Aroma der Kräuter, das aus den ätherischen Ölen im Inneren entsteht, sich langsam den Weg durch die Blattgefäße- und Membranen bahnt und mit seiner Frische einen jeden Koch beinahe um den Verstand bringt. Führt man sich vor Augen, dass die Kräuterarten eine so umfangreiche Fülle an unterschiedlichen, schmackhaften Elementen beinhalten, ist es bedauerlich, dass das immer gleich schmeckende, aber altbewährte Salz immer noch die meiste Aufmerksamkeit beim Würzen genießt.

Apotheke der Natur

Die Expedition in die unendlichen Weiten der Vorzüge unserer Kräuter scheint aber noch kein Ende zu nehmen, denn die nächste Station ist das Habitat der Heilkräuter. Denn beinahe jedes Kraut, das von uns beim Kochen verwendet wird, hält nämlich ein unscheinbares Repertoire an gesundheitsfördernden Heilkräften in sich verborgen, was besonders im Alltag kleine Wunder vollbringen kann. Stellt man sich dazu beispielhaft vor, man befände sich in der Pflicht, ein mehrgängiges Abendessen für viele Gäste auszurichten, aber befürchtet einige appetitlose Personen unter den Besuchern, so könnte man die Lösung für das Problem tatsächlich innerhalb des Kräuterbeets finden.

Koriander und Schnittlauch stehen dem Suchenden in dieser Situation als außerordentliche Appetitanreger zur Seite, eventuell verpackt in Form eines Dips oder einer Kräuterbutter bei der Vorspeise? Selbst wenn der anschließende, ungebremste Appetit am Folgetag in Magenbeschwerden mündet, sollten Sie nicht verzagen, denn ein aus frischen Kräutern aufgebrühter Tee, lässt wieder Ruhe in die Magengegend einkehren. Thymian, Dill oder Basilikum sind übrigens besonders effektive pflanzliche Hausmittel bei dieser Art von Beschwerden. Schon tausende Jahre vor Christus wussten die Griechen und Ägypter die sanierenden Wirkungen der uns heute geläufigen Kräuter zu würdigen und ließen sie in prächtig angelegten Kräutergärten gedeihen.

In mittelalterlichen Klostergärten fundierten die Mönche das über Heilkräuter existierende Wissen, um es in riesigen Enzyklopädien für die Nachwelt niederschreiben zu können. So konnten sämtliche Kenntnisse über die Kräuterarten und deren Superkräfte den Weg in die Gegenwart finden. Heutzutage spielt die Sonderqualifikation der Kräuter im Bereich Heilung, welche alle Gewürze und insbesondere das Salz in dieser Kategorie in den Schatten stellt, aber keine bedeutende Rolle mehr. Stattdessen werden sie in erster Linie als würzender Faktor angesehen und dementsprechend auch konsumiert.

Mut fassen und loslegen

Und? Hat Sie die Welle der Sympathie für Kräuter inzwischen bis vor die Auslage im Supermarkt gespült ? Dann stranden Sie bewusst und lassen Sie sich nicht von der übermannshohen, unüberwindbar wirkenden Welle verschiedener Kräuterangebote abschrecken. Gewiss scheint es auf den ersten Blick schwierig zu entscheiden, welche Sorten für welche Zubereitung zusammenpassen und den persönlichen Geschmack treffen könnten, aber wie so oft im Leben lautet die Devise: „Ausprobieren!“.

Bei großer Unsicherheit im Umgang mit Kräutern wird empfohlen, ein Kraut vorerst eigenständig zu verwenden, um seinen Geschmack kennenzulernen und es dann nach und nach mit seinen Favoriten zu kombinieren. Diese Methode stärkt das Selbstvertrauen und macht Lust darauf, die unterschiedlichen Charaktere der Kräuter aufzudecken und sie beim Kochen zu verwenden. Im Köstlichkeitsspektrum der Gewürzkräuter gibt es allerdings eine Reihe bestimmter Virtuosen, die sich einem hohen, gesellschaftlichen Ansehen erfreuen und prädestiniert für die Zubereitung bestimmter Mahlzeiten sind.

Kräuter sind vielfältig

Stapft man durch das verwucherte Dickicht der Vorspeisen kreuzt man immer häufiger den Weg der Salate und Aufstriche, die durch die Kombination mit frischen Kräutern erst ihr volles Potenzial ausschöpfen können. Die leicht scharfe, saftige Brunnenkresse sowie der zwiebelartige Schnittlauch sind wie gemacht für quarkhaltige Aufstriche, vom ästhetischen Farbspiel zwischen grün und weiß ganz abgesehen. Dressings für Salate werden hingegen erst durch die Verwendung milder Klassiker wie Borretsch oder Dill zu einer amtlichen Gaumenfreude, denn hier bietet sich dem Glücklichen eine Sinfonie der Aromen und Vitamine.

Fleischliebhaber können beim Würzen aus einem sehr breit gefächerten Angebot wählen. Besonders geläufig sind die berühmten Kräuter der Provence, bei deren prominenten Mitgliedern es sich um keine Geringeren als Majoran, Oregano, Thymian und Rosmarin handelt. Sie bestechen durch ihr würzig-intensives, teils sogar bitteres Aroma, welches während der Zubereitung sanft in die Fasern des Fleisches übergeht, sich aber auch mit Gemüse und diversen Kartoffelvariationen verträgt.

Bei den Vertretern Rosmarin und Thymian muss man bei der Dosierung sogar extrem aufmerksam sein, denn ihr ausgesprochen intensives Aroma ist so stark, dass man das Gericht damit vollständig verderben kann, was dann mit einer versalzenen Mahlzeit zu vergleichen ist. Ein altbewährtes Kraut, bekannt aus Großmutters Küche, ist der Beifuß, mit dem gehaltvolle, mächtige Braten wie die traditionelle Weihnachtsgans gelingen. Er erzielt nicht nur wohlschmeckende Effekte, seine Besonderheit liegt viel mehr in der Fähigkeit fettige Strukturen verdaulicher zu machen.

Teil des großen Ganzen

Säubern, Säuern, Salzen – frischer Fisch unterliegt bei seiner Zubereitung keineswegs einem traditionellen Zwang aber liebt es beispielsweise, mit dem milden, angenehm süßlichen Dill veredelt zu werden. Um hier die Zugabe von Speisesalz gering zu halten, kann man etwas kräftigere Gewürzkräuter verwenden, solang man das Gericht damit nicht überlädt. Generell sollte das effektvolle Blattwerk die Aromen der jeweiligen Hauptzutat nicht überdecken, sondern ergänzen.

Wem hingegen ein wärmendes Süppchen genügt, um die Lebensgeister zu wecken, sollte sich an einem echten Geheimtipp probieren: der Bärlauchsuppe. Diese ist geschmacklich mit geriebenem Knoblauch zu vergleichen und besteht aus der gleichnamigen Hauptzutat, einem Kraut, das im Frühjahr in unseren Wäldern zu finden ist. Besagtes Süppchen ist allerdings nur eines von vielen Beispielen für die schmackhaften Dinge, die auf kulinarischer Ebene mit Kräutern entstehen können.

Das soll nicht bedeuten, dass sie künftig in jeder Mahlzeit zu finden sein müssen. Es geht viel mehr darum zu erkennen, dass Kräuter eine Bereicherung für eine gesunde, salzreduzierte Ernährung darstellen und unsere Sinne schärfen, uns außerdem Möglichkeiten aufzeigen, geschmacklich und aromatisch neue Wege einzuschlagen. Begeben auch Sie sich auf grünblättrige Entdeckungsreise, die eventuell schon im nächsten Besuch auf dem Wochenmarkt ihren Anfang finden kann.

Dieser Artikel stammt aus dem AUSZEIT-Magazin, das noch viele weitere tolle Themen für Euch bereithält.

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