Die schwerste Zeit meiner Erkrankung brachte es mit sich, dass ich in meinem Leben auf nichts mehr Lust hatte. Aus einem ehemals aktiven Wesen, das gerne im Rampenlicht gestanden hatte, war ein in sich zurückgezogenes Geschöpf geworden, das sich in der Wohnung versteckte.

Der begnadete Psychoanalytiker Sigmund Freud hat es bereits im 19. Jahrhundert erkannt: das Lustprinzip. Es geht beim Lustprinzip weniger um die sexuelle Lust, sondern vielmehr um eine universale und höchst triebenergetische Lebenskraft. Wird das Lustprinzip verwirklicht, äußert sich das sowohl auf psychischer als auch physischer Ebene. In Verbindung mit dem Konzept der Achtsamkeit werden einem die Auswirkungen bewusst.

Das Lustprinzip

Alles, was ich machte, war von Mühe begleitet. Unerträgliche Schmerzen verhinderten jede Freude am Leben. Fakt war: Ich konnte nicht mehr. Innerhalb meiner Meditationen zogen manchmal Bilder an mir vorüber, die wie eine Art Flashback waren. Das erste Mal passierte das vor etwa einem halben Jahr. Ich war bereits weit auf meinem Weg einer Besserung meiner zahlreichen Symptome. Meine Psyche allerdings unterlag weiterhin sehr starken Schwankungen. Diese Bilder überraschten mich, trieben mir Tränen in die Augen und brachten mir Erinnerungen zurück, eine in diesem Moment ungeahnte Lebendigkeit. Ich sah mich im Theater, tanzen, zusammen mit Freunden im Gespräch – ich war in diesen Minuten wieder ich.

Als ich wieder in die Realität zurückkehrte, wurde es mir bewusst: An allen Ecken und Enden fehlte mir mein altes Leben, meine körperliche Beweglichkeit, mein Drang nach Aktivität, all das, war nicht mehr vorhanden. Ich saß den ganzen Tag lang, mit kleinen Unterbrechungen, in denen ich putzte und kochte, auf dem Sofa. Früher hatte ich gemalt. Seit meine rechte Hand nicht mehr gut funktionierte, auf jeden Fall nicht im feinmotorischen Bereich, hatte ich das Malen aufgegeben.

Die linke Hand war mittlerweile trainiert. Ich konnte mich perfekt schminken, sogar Augenbrauen zupfen. Aber mit links zu schreiben oder zu malen, kam für mich nicht in Frage. Dazu hatte ich definitiv keine Lust. Lust – das Wort setzte sich in meinen Gehirnwindungen fest. Wozu hatte ich überhaupt noch Lust?

Schminken hatte ich gelernt, das aber vor allem, weil ich als Model im Amateurbereich unterwegs war und das Modeln war wiederum mein Theaterersatz. Ins Theater kam ich alleine nämlich tatsächlich nicht mehr. Ich schaffte mit Stock lediglich um die 100 Meter auf der Straße. In der Wohnung mit den glatten Böden war es deutlich besser. Aber was bereitete mir wirklich noch Lust? Wenig und das musste ich ändern.

Ein Spruch, den ich nie leiden konnte, heißt: Die Lust kommt beim Essen. Jetzt dachte ich mal darüber nach und mir fiel auf, dass ich tatsächlich davon ausging, dass sich bei mir erst Lust zeigte und dann eine Tätigkeit oder Handlung folgte. Aber das kann und muss nicht so sein. Eine freiwillige Lust stellt sich am ehesten bei intrinsisch motivierten Handlungen ein, bei mir betrifft das mein Schreiben. Aber auch da kenne ich oft Unlust.

Auf sich achten

Wir kommen jetzt an einen Punkt, an dem es tatsächlich darum geht, Dinge sehr bewusst wahrzunehmen. Die Lust muss sich eben nicht einfach einstellen, die Lust will gelockt werden.

Wie unbeschwert könnte das Leben sein, wenn nicht ständig diese Unlust der Lust den Weg versperren würde? Im Grunde ist es aber doch ganz einfach. Indem wir die Dinge in den Fokus nehmen, uns auf den Moment einlassen, das Schöne erkennen und genießen, schwindet die Unlust und Lust stellt sich ein.

Auch das ist Achtsamkeit. Dem Hier und Jetzt aufmerksam zu begegnen, das Wasser unter der Dusche zu fühlen, den Apfel geschmacklich in alle Einzelteile zu zerlegen, die Farbe des Vorhangs immer stärker wahrzunehmen. Ist das nicht wundervoll?

Wenn wir lustlos unseren Tag verbringen, ist diese Haltung freiwillig gewählt, weil es auch anders ginge und zwar in jedem Moment. Diese Haltung bewirkte bei mir das Gefühl, dass meine Fesseln sich lösten. Ich fühlte mich befreiter und bekam eine neue Lust auf das Leben. Es gab und gibt immer noch Stunden, in denen mein Körper, wie ich das gerne nenne, austickt. Ich kann diesen Zuständen mittlerweile freundlicher begegnen, gehe in diese seltsamen Körpergefühle herein, sehe sie mir an. Manches fühlt sich so absurd an und hin und wieder muss ich wirklich lachen. Taubheit, das Gefühl von innen zu vertrocknen und gleich in Staub zu zerfallen, das sind irrsinnige Empfindungen. Und trotzdem: Es hilft mir ungemein zu wissen, dass diese Zustände nur noch vorübergehend auftauchen und mein Körper sich immer häufiger völlig frei anfühlt.

Ich war immer eine Denkerin und konnte mich nie, auch nicht im Studium, mit vermeintlichen Gegebenheiten, die sich meiner Logik entzogen, abfinden. Dinge zu hinterfragen, sie umzudrehen und von allen Seiten zu beleuchten, hat mir innerhalb dieser Erkrankung mehr oder weniger das Leben gerettet. Als ich mich aus dieser gedanklichen Stare, die ich drei Jahre immer weiter verstärkt habe, endlich Stück für Stück lösen konnte, kam mein Leben zu mir zurück.

Unsere Gedanken haben eine unendliche Kraft. Sie wirken auf unseren Körper. Das Problem ist, diese Wirkung geht in beide Richtungen. Heilung oder Zerstörung – das kann nur jeder für sich selbst entscheiden. Gesund zu werden ist ohne eine innere Einstellungsänderung allerdings nicht möglich. Das vergangene Handeln hat zur Krankheit geführt, Disposition hin oder her. Gesundung benötigt eine veränderte Haltung. Änderung bedarf einer Änderung.

Achtsamkeit ist eine Basis, das eigene Leben zu beleuchten, Schwachstellen zu erkennen und eine Bereitschaft zu entwickeln, sich wirklich zu spüren, ehe der Körper zum Spüren zwingt.

Es ist eine gute Übung, den Körper in Gedanken zu scannen. Jeder Körperteil, von den Zehen bis in die Fingerkuppen, wird in den Fokus genommen und in seinem Befinden neutral betrachtet. Es ist wichtig, nicht zu werten, sondern einfach nur zu entdecken, wie sich der Zeh anfühlt, der Fußknöchel, die Wade. Diese Übung sollte – zumindest anfangs – im Liegen geschehen und mit geschlossenen Augen durchgeführt werden. Indem mit einer neutralen Betrachtung Körperteile in den Blickpunkt genommen werden, hören manche Beschwerden kurzzeitig auf, bei regelmäßiger Übung können sie komplett verschwinden.

Der Körper ist mehr als eine schützende Hülle. Er ist die Heimat von Seele und Geist.

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