Jeder Mensch hat Geheimnisse. Die einen mehr, die anderen weniger. Dinge, von denen nur sehr wenige etwas wissen oder aber die wir sogar ganz für uns behalten. Doch was sind das überhaupt für Themen, die wir in unseren privatesten Herzkammern ablegen und hinter verschlossenen Türen schützend „aufbewahren“?

Eine Filmszene, die wir alle kennen: „Das Herz einer Frau ist ein tiefer Ozean voller Geheimnisse“, erzählt Rose DeWitt Bukater in der Liebestragödie „Titanic“ und wirft am Ende genau jenes, als verschollen geglaubtes Diamantcollier von einem Forschungsschiff aus in den Nordatlantik, nach dem sie kurz zuvor noch vom Schatzsucher Brock Lovett gefragt wurde. Auch Rose hatte ein Geheimnis, das sie letztendlich mit ins Grab nahm. Nicht einmal ihre Enkelin Lizzy wusste davon. Nun, was möchte uns wohl diese Filmszene sagen? Vielleicht, dass manche Geheimnisse unendlich sein können, bis jemand auftaucht, der ihrer würdig ist. Vielleicht aber auch, dass manche Geheimnisse schlichtweg nicht dafür da sind, um jemals gelüftet zu werden, da sie bereits ein einzelnes Herz voll und ganz auszufüllen vermögen. Eines steht jedoch fest: Geheimnisse sind nichts Oberflächliches oder Flüchtiges. Vielmehr sind sie tief in unserem Innersten verankert und verbinden uns mit einer Welt, zu der zunächst nur wir allein Zugang haben. 

Die Geheimnisse der Fantasie ausleben

Ich erinnere mich noch genau an die Zeit meiner Kindheit, in der ich mich oftmals in wilde Fantasien flüchtete. Ganz klar, ich war eine Träumerin (und bin es vermutlich auch heute noch). Denn in MEINER Welt, war alles möglich: Bäume wuchsen vom Himmel herab, Vögel flogen rückwärts und die Sonne schien sogar nachts. Es war das reinste Paradies. Hier konnte ich alles sein: Die Schöne, die Beliebte, die Arrogante, die Ganovin und die Heldin – teilweise sogar alles gleichzeitig. An einem Tag ritt ich auf dem Drachen „Fuchur“ aus der unendlichen Geschichte durch ganz Phantásien, während ich mich ein paar Tage später als Schwester vom Küken „Sweety“ vor dem Kater „Silvester“ in Acht nehmen musste.

Doch ich kreierte auch meine eigenen Geschichten, in denen ich zum Beispiel eine erfolgreiche Springreiterin war, unter Wasser atmen konnte oder aber jedes Land bereiste. Bis zum heutigen Tag habe ich niemandem etwas von meiner Fantasiewelt erzählt. Denn es war mein Geheimnis und mit Kinderaugen fürchtete ich, es verlieren zu können, sobald ich darüber gesprochen hätte. Schon damals kam es mir so vor, als müssten bestimmte Dinge nicht in Worte gefasst werden. Ich fühlte mich stark, weil es etwas gab, das mir allein gehörte. Und natürlich genoss ich auch die rätselnden Blicke der Erwachsenen, wenn sie mich mal wieder beim Träumen erwischt hatten und mich fragten, wo ich denn nur gerade wieder mit meinen Gedanken sei. 

„Privatgespräch“ mit meinem Herzen

Ja, es stimmt schon: Hin und wieder ist es wirklich nicht leicht, unserem Herzen oder in dem Fall unseren Geheimnissen zu folgen. Denn mit ihnen geben wir auch sehr viel über uns selber preis, womit wir natürlich umso verletzlicher werden. Hier kann es jedoch hilfreich sein, sich zu fragen, was denn das Schlimmste, was aber auch das Schönste wäre, das passieren könnte, sofern wir den Mut aufbringen, unser Geheimnis zu entlüften. Insbesondere das Niederschreiben unserer Gedanken, also das Visualisieren beispielsweise in Form einer Pro und Contra Tabelle kann dazu beitragen, das Gefühlschaos in unserem Inneren besser zu sortieren. Auch Ehrlichkeit zu uns selbst ist dabei ein wichtiger Punkt. Schließlich bringt es uns nicht weiter, uns selbst zu belügen.

Nehmen wir mal an, Miriam verheimlicht allen Personen um sie herum, dass sie eigentlich ihren Job hasst und tut immer so, als wäre er das Beste, was ihr hätte passieren können. Natürlich möchte sie nach außen hin auch so glücklich sein, wie ihre Freunde mit ihren tollen Jobs und alle, inklusive ihr selbst, vor Enttäuschungen bewahren, allerdings wird sie dieses Geheimnis nicht für den Rest ihres Lebens aufrecht erhalten können. Zumal sie es morgens kaum noch aus dem Bett schafft, wenn sie nur daran denkt, in einer Stunde für den restlichen Tag im Büro sitzen zu müssen. Wenn sie sich nun fragt, was das Schlimmste und was das Schönste wäre, was passieren könnte, wenn sie sich ihren Mitmenschen anvertrauen würde, so käme vielleicht auf der einen Seite die Beschuldigung als Lügnerin heraus, auf der anderen Seite wäre es aber auch denkbar, dass ihre Freunde Verständnis zeigen, sie fragen, warum sie sich ihnen nicht schon viel eher anvertraut hat und ihr anbieten, sie bei der Jobsuche zu unterstützen. Wir sollten nämlich nie vergessen, dass wir immer eine Wahl haben!

Das Geheimnis einer niemals ausgelebten Liebe

Doch es existieren noch so viele andere Aspekte, die, wenn wir sie mal etwas genauer unter die Lupe nehmen, als Geheimnisse betitelt werden können. Denken wir nun mal an unsere Pubertät oder auch Jugendzeit zurück: Hach, war es schön, das erste Mal verliebt zu sein – die Wangen wurden rot, die Stimme piepsig und das Herz schlug uns bis zum Hals. Regelmäßig suchten wir nach Augenkontakt, konnten ihm jedoch im Fall der Fälle nicht lange standhalten. Und ich würde fast wetten, dass sich mindestens die Hälfte von uns nicht getraut hat, dem oder der Angebeteten die eigenen Gefühle zu gestehen. Vielmehr hielten wir sie dick eingepackt in unserem Innersten versteckt. So wollten wir uns schützen. Denn zu groß war die Angst vor Peinlichkeiten oder gar Ablehnung. Deshalb schwärmten und „litten“ wir lieber auf eine ganz besondere, insgeheime Weise vor uns hin und gaben uns mit den Träumereien zufrieden, in denen wir dem Subjekt unserer Begierde nah sein konnten.

Erst neulich erzählte mir eine gute Freundin bei zwei, vielleicht auch drei Gläsern Weißwein, wie sehr sie heimlich noch immer an ihren Ex-Freund denken musste. Etwas verdutzt musste ich sie wohl angesehen haben, als sich herausstellte, dass nicht von dem Mann die Rede war, den sie im vergangenen Jahr für ihren aktuellen Partner verlassen hatte, sondern dass sie von ihrer Jugendliebe sprach – und somit über eine Schwärmerei, die inzwischen gute 15 Jahre zurückliegt. „Nur du weißt davon“, flüsterte sie mir bei unserer Verabschiedung ins Ohr. 

Zu viele Geheimnisse – zu wenig Vertrauen?

Es gibt sie wirklich, die so genannten „Höhlenmenschen“ – auch heute noch. Damit meine ich solche Menschen, die sich aufgrund fehlendem oder gebrochenem Vertrauen mit all ihren heimlichen Gedanken und Gefühle in ihre Höhle zurückziehen und dort nur selten wieder herauskommen. Vielleicht haben sie bereits schlechte Erfahrungen bezüglich dem Anvertrauen von Geheimnissen gemacht, vielleicht sind sie aber auch von Grund auf eher skeptische Menschen. Doch Vertrauen lässt sich (wieder) erlernen, Schritt für Schritt. Sei es mit Hilfe von einem Therapeuten oder aber mit Hilfe von einem guten Freund, der ebenfalls viel Wert auf Verschwiegenheit legt. Wichtig ist dabei auch das Bewusstsein, dass nicht alle Menschen gleich sind. Nur, weil eine Person etwas weitergetratscht hat, heißt das noch lange nicht, dass eine andere Person ebenso handeln würde. Auch der Hinweis „Bitte behalte das für dich“, zeigt Grenzen der eigenen Wohlfühlzone auf und kann auf diese Weise Missverständnissen entgegenwirken.

Einen heimlicher Deckmantel über alte Erinnerungen legen

Dabei sind es allerdings nicht nur Gefühle für jemand anderen, die wir uns selbst bewahren möchten. Auch Gefühle der Traurigkeit, des Alleinseins, der Begierde, der Abenteuerlust sowie Gedanken über Veränderungen, Neuanfänge, Verluste und Träume vergraben wir häufig unter dem Deckmantel der Heimlichkeit. Wie oft sagen wir nicht das, was wir eigentlich denken und fühlen, mit dem Glauben, dass dieses oder jenes niemand außer uns wissen darf oder sollte. Doch genießen wir dabei wirklich nur unsere eigene Exklusivität oder wollen wir uns vielmehr selbst vor komischen Blicken, langen Diskussionen oder gar Anfeindungen schützen?

Schließlich haben wir so manche Geheimnisse nicht ohne Grund: Die verschönernde Lüge über uns selbst, die Lästerei über den Chef oder auch der Verrat an der besten Freundin sind nun mal nicht gerade Glanzleistungen. Es sind Erinnerungen, nicht selten an die Vergangenheit, die wir in die hinterste Ecke unseres Herzens geschoben haben und die dort am besten auch für den Rest unseres Lebens verborgen bleiben sollen! Doch hin und wieder tun eben auch gute Menschen weniger schöne Dinge und es ist meiner Meinung nach in Ordnung, manches davon – an dem sich so oder so nichts mehr ändern lässt – ersteinmal mit sich selbst auszuhandeln und es später womöglich in der Schublade „Das wissen nur mein Herz und ich“ abzulegen. 

Geheimnisse gibt es überall

Amtsgeheimnis – (Bezieht sich auf einen Personenkreis von Mitarbeitern einer Behörde)

Arztgeheimnis – (Schweigepflicht des Arztes über Behandlungen/Diagnosen eines Patienten)

Bankgeheimnis – (Verschwiegenheitspflicht und Recht auf Auskunftsverweigerung von Banken gegenüber Dritter)

Briefgeheimnis – (Grundrecht, das die Unverletzlichkeit von Postsendungen garantiert)

Datengeheimnis – (Schützt personenbezogene Daten vor Missbrauch)

Redaktionsgeheimnis – (Vertraulichkeit der Arbeit von Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen)

Staatsgeheimnis – (Sind für die Sicherheit eines Staates relevante Tatsachen)

Steuergeheimnis – (Hindert Finanzbehörde daran, Erkenntnisse der Steuererhebung an Dritte weiterzugeben)

Schutz der Vertraulichkeit des Wortes – (Schützt das nicht öffentlich gesprochene Wort z. B. vor geheimen Aufzeichnungen)

Teilen kann helfen

Nichtsdestotrotz ist es jedoch immer auch einen Versuch wert, den eigenen Geheimnissen Raum zu geben – sei es beispielsweise mit Hilfe eines „Tagebuchs“ oder aber in einer ruhigen Stunde, im Beisammensein mit einem nahestehenden Menschen des Vertrauens. Denn manche Geheimnisse sind in der Lage, uns innerlich nahezu aufzufressen. Wir versuchen, nicht an sie zu denken oder aber sie ganz zu vergessen und arbeiten so gegen uns selbst. Damit geht es uns alles andere als gut und wir fühlen uns erschöpft, als könnte jederzeit das klammheimlich errichtete Kartenhaus über uns zusammenbrechen. Gerade heimliche Gelüste, Fantasien, Wünsche und Sehnsüchte können sich nur dann entfalten, wenn wir aufhören, ihnen ununterbrochen die Flügel zu stutzen. Vor allem in unserer heutigen Gesellschaft gibt es kaum noch etwas, was es nicht gibt und für das wir uns schämen müssten. 

Besser noch: Würden wir uns gegenseitig öfter mal das anvertrauen, was wir in unseren privatesten Herzkammern so vehement verborgen halten, würden wir womöglich sehen, dass wir alle gar nicht mal so unterschiedlich sind. Und dass in jedem verheimlichten Du auch ein bisschen verheimlichtes Ich steckt!

Anna Kummer

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