Nur wenige der auf Kalenderblättern verewigten Sprüche haben mich ganz persönlich so geprägt und bewegt wie dieser: „Hinter dem Horizont geht es weiter.“ Schon als kleines Kind habe ich förmlich verschlungen, was ich an Büchern und Zeitschriften in die Hände bekam. Egal ob Märchen, Romane oder Sachbücher – alles habe ich in mich aufgesogen. Meine Eltern hatten bald eine gewisse Routine darin entwickelt, das Badezimmer regelmäßig nach versteckten Büchern zu durchsuchen, damit ihr kleiner Junge wenigstens dort mal aufhört, sich durch die Welt zu lesen.

Auch die Buchhändlerin unseres beschaulichen Städtchens hatte sich daran gewöhnt, dass da regelmäßig ein kleiner Knirps vorbeikam, der ein paar in irgendwelchen Wettbewerben gewonnene Bücherschecks auf den Kassentisch legte und dann vor den gefüllten Bücherregalen die Zeit vergaß. Auf die Bemerkung: „Na Kleiner, das ist jetzt aber noch nichts für dich.“ verzichtete sie dann auch sehr schnell.

Dabei ging es mir gar nicht darum, die vielen Details in meinem Kopf nebeneinander aufzureihen, um sie ständig parat zu haben. Ich wollte verstehen, was um mich herum vorgeht, was die Menschen antreibt, was die Welt bewegt. Jenseits des Heute, über alle Grenzen hinaus, in der Unendlichkeit des so faszinierenden – weil unbekannten – Weltalls, eben hinter dem Horizont.

Das ist eine Neugier, die mir bis heute geblieben ist. Mein Badezimmer liegt immer noch voller Bücher. Und wenn ich die Wahl habe, suche ich für mich Dachgeschosswohnungen aus, aus deren Fenster ich jeden Tag sehen kann, wie die Sonne hinter dem Horizont auftaucht. Also dort, wo es Tag für Tag noch etwas für mich zu entdecken gibt.

Sicher, manchmal, wenn man in Neuanfänge durch die äußeren Umstände förmlich hineingezwungen wird, fällt es nicht so leicht, das vor allem auch als Horizonterweiterung, als Bereicherung des eigenen Lebens zu empfinden. Es dennoch zu tun, kann einem eine Menge Kraft geben. Denn zwei Dinge sind wichtig, um hinter den Horizont zu schauen: zum einen eine demütige Offenheit. Also eine Neugier, die auch akzeptiert, dass es Dinge gibt, die altes Wissen an seine Grenze bringt. Eine Neugier, die die eigene Unvollkommenheit nicht nur akzeptiert, sondern sie als Potenzial begreift. Zum anderen, wenn man hinter den Horizont schauen will, reicht es nicht, nur den Kopf zu heben. Man muss ihm auch entgegen gehen, sich einfach auf den Weg machen …

Bildquellen: Uwe Funk