Einsamkeit kann eine nachhaltige Therapie nach einem Trauma, einem Verlust oder in schweren Zeiten sein. Aber sie ermöglicht es auch, kurzzeitig Kraft zu schöpfen und Lebensenergie zu regenerieren. Wenn du gelernt hast, diesen Frieden bewusst wahrzunehmen, dann kannst wo und wann immer du möchtest, einsam sein. Und glücklich.

Einsam sein ist wichtig

Selbst wenn dein Alltagsrhythmus noch so gut durchplant ist und du mit beiden Füßen im Leben stehst – früher oder später kommt der Zeitpunkt, an dem alles aus dem Ruder läuft. Stress, Burnout und andere Symptome zählen längst als Volkskrankheiten. Viel zu sehr versteifen wir uns auf fest definierte Konventionen, wie etwas zu funktionieren hat, und geraten dann völlig aus dem Gleichgewicht, sobald wir feststellen: Kontrolle und Perfektion sind nicht immer möglich. Und schon gar nicht immer wichtig.

Im Gegenteil. „Was wir nicht schaffen, müssen wir loslassen. Sonst schafft es uns.“ deklariert der österreichische Lehrer und Schriftsteller Ernst Ferstl. Gemeint ist das Loslassen von strikten Vorstellen, wie eben Perfektion. Nicht jeder Plan kann aufgehen. Manchmal verpasst du Termine, kannst eine Aufgabe nicht bewältigen oder brauchst Hilfe. Auch musst du nicht immer total gut gelaunt sein und alle mit einem Lächeln verzaubern. Du darfst – und musst – dich auch hin und wieder zurück ziehen, um erstens Abstand von Konflikten zu gewinnen und zweitens selbst und für dich allein neue Kraft zu schöpfen.

Ich wollte nicht einsam sein, sondern nur mal allein

Wenn die Überreizung zu viel wird und du dich nach etwas Ruhe sehnst, erscheint die Einsamkeit als verlockende Zuflucht. Und sei es nur für ein paar Minuten im Bad zu verschwinden. Ohne Erklärungen, ohne Auskunft geben zu müssen, wann du zurück bist. Nur du und das stille Örtchen. So banal es auch klingen mag, auch diese kurze Form der Einsamkeit hat eine heilende und vor allem beruhigende Wirkung auf deine Seele.

Solche Situationen, in denen alles zu viel wird und dich zu erdrücken droht, können überall spontan entstehen. Im Büro, beim Familienausflug, auf Feiern, im Straßenverkehr und so weiter. Auch wenn du versuchst, davor zu fliehen, holen dich Stress und Anspannung ein. Einige kompensieren dies mit Sport, andere mit Alkohol und Zigaretten. Doch auch ohne zusätzliche Geräte oder Genussmittel, kannst du jederzeit inneren Frieden finden.

Familie – Ein Beispiel:

Die Eltern haben jeweils wichtige Termine am nächsten Tag, das Kind möchte aber unbedingt zum Handballtraining und natürlich am liebsten beide Elternteile mit dabei haben. Hin und her gerissen zwischen Pflichtbewusstsein, Verantwortungsgefühlen und schlechtem Gewissen entfacht ein Streit der Eltern über den Kopf des Kindes hinweg. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, wer sich wann wie sehr kümmert, mehr verdient oder schon beim letzten Mal mit war – und schon eskaliert die Situation.

Binnen weniger Minuten wird es laut, ungerecht und verletzende Worte fallen, die keiner mehr zurücknehmen kann. Nicht selten kullern wenigstens beim Kind die Tränen, das sich natürlich missverstanden, vernachlässigt und nicht liebenswert fühlt, weil weder Mutter noch Vater Zeit mit ihm verbringen wollen. So zumindest aus seiner Perspektive.

Familien kann es in einem solchen Fall besonders gut bekommen, die Situation kurzzeitig auszulösen und sich eine Pause voneinander zu gönnen. Auch innerhalb der Familie muss jeder hin und wieder einsam sein dürfen. Eine Rückzugsmöglichkeit mit Privatsphäre kann zum Beispiel das Kinderzimmer sein, die Hobbywerkstatt, ein Spaziergang mit dem Hund oder Projekte im Garten. Hauptsache für kurze Zeit alleine mit den eigenen Gedanken und Gefühlen sein, damit die Seele wieder zur Ruhe kommt und neue Kraft findet. Mitunter fallen den Beteiligten dann auch spontan Lösungen für den Konflikt ein, sie entschuldigen sich und finden wieder friedlich zu einander.

Doch nicht immer gelingt der ideale Ausstieg aus der Einsamkeit. Wenn sich keine Lösung findet, keiner nachgeben will und jeder für sich Frust aufbaut, entsteht aus der kurzen Auszeit unbemerkt ein andauernde Einsamkeit. Keiner spricht mehr richtig miteinander, man belügt sich oder verheimlicht unangenehme Wahrheiten. Die Folgen können schlechte Noten sein, Essstörungen, Drogenmissbrauch oder Untreue. Nicht zuletzt wirkt sich langanhaltende Einsamkeit auf die psychische Gesundheit aus. Unter anderem entstehen Verlustängste, Bindungsprobleme und Ähnliches.

Gesunde Einsamkeit

Dem kannst du durch klare „Spielregeln“ vorbeugen. Zum Beispiel indem die Auszeit auf ein, zwei Stunden festgelegt oder der Konflikt überschlafen wird. Keinesfalls unangenehm sollte es sein, um Hilfe zu bitten. Zwar dürfen Probleme nicht generell abgeschoben werden, aber auch die Großeltern und Geschwister gehören zur Familie und können mit Rat und Tat einbezogen werden. Ebenso wie gemeinsame Aktivitäten fest im Familienalltag verankert sein sollten, lässt sich das Alleinsein integrieren.

Ab und zu einsam zu sein, ist mindestens genau so wichtig wie die Zweisamkeit mit dem Partner und die gemeinsame Zeit als Familie sowie die separate Mutter-Kind-/ Vater-Kind-Bindung. Das gilt sowohl für die kleinsten, als auch für längst erwachsene Kinder. Irgendwann haben diese eigenen Nachwuchs und du gehörst zu den Großeltern. Dann ist es an dir, auszuhelfen, damit jeder ein wenig gesunde Einsamkeit abbekommt.

Einsam sein als Konfliktlösung

Wenn du die Einsamkeit wählst, um Probleme oder Konflikte zu lösen, dann musst du dies ganz bewusst anwenden. Denn wer vor seinen Problemen nur flieht und nicht zurückkehrt, um sich ihnen zu stellen, der wird keine innere Zufriedenheit im Alleinsein finden.

Vielmehr solltest du mit Achtsamkeit und Selbstvertrauen in die Einsamkeit abtauchen. Lerne, dich selbst besser kennen. Was ist dir wirklich wichtig? Wie fühlst du dich? Was würde dir jetzt gut tun? Und dann handle dementsprechend. Auch Dankbarkeit und Großzügigkeit führen zu innerem Frieden. Diese Tugenden stecken bereits in dir, in der Einsamkeit kannst du sie finden und erwecken. Kehre erholt und entspannt zurück und teile sie mit denen, die du liebst.

 

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