Vieles lässt sich in der Hetze des Alltags und des Berufslebens nicht so einfach umsetzen. Klar, wenn ich in einem engen Zeitfenster von A nach B kommen muss, dann kann ich nicht das Fahrrad nehmen. Aber ich kann mich immer fragen, ob die Reise wirklich nötig ist. Wenn man anfängt mehr zu hinterfragen, was man „wirklich braucht“, dann ist man schon auf dem Weg, zu größerer Ruhe und mehr Klarheit. Was ist wirklich wichtig? Wichtig sind natürlich noch viele andere Dinge. Meine Haltung zum Leben, meine Werte, die Beziehungen zu den Menschen um mich herum, es ist die Frage, wie ich die Welt sehe, wie ich der Welt begegne. All das zusammen macht glücklich oder nicht glücklich. Und manchmal eröffnet eben gerade auch ein Lottogewinn diesen Weg, so paradox das jetzt auch klingen mag.

Warum sind wir alle so permanent auf der Suche nach dem Glück?

Reichenbacher: Das Thema ist inzwischen tatsächlich ein Dauerbrenner – ich selbst hatte immer wieder Anfragen von Verlagen, Glücksratgeber zu schreiben. Als ich Ende der neunziger Jahre – also im vergangenen Jahrhundert (lacht) – mit meiner Sendung anfing, war das noch kein großes Thema. Ein paar Jahre später fing es dann an mit diesen ganzen Glücksbüchern, Lebenshilfe-Ratgebern und Artikeln in Zeitschriften, die Tipps für das Glücklichsein liefern wollen. Im Moment ist hier ja die ‚Achtsamkeit‘ mega angesagt (lacht).

Verbirgt sich dahinter nicht eher ein Luxusproblem unserer Gesellschaft?

Reichenbacher: So erscheint es mir manchmal. Wir haben in unserem Land einen sehr hohen Standard erreicht, einen sehr hohen Wohlstand, bei dem fast jeder alles mehr oder weniger haben kann. Vielleicht manchmal in einer etwas billigeren Version, aber es ist alles da, insbesondere im Vergleich mit anderen Ländern. Ich glaube, wir fangen an zu vergessen, wie wichtig und befriedigend es ist, sich Aufgaben zu widmen. Aufgaben, die uns inhaltlich fordern, die uns herausfordern, ob privat oder beruflich, die uns aber auch mit einem Sinn erfüllen: Sich einsetzten für andere zum Beispiel, sich kümmern, sich aber auch mit Themen, Inhalten, auch gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen.

Dabei muss man automatisch seine Befindlichkeiten zurückstellen und das ist ein Schlüssel zum Glück: Je weniger ich an meine Selbstverwirklichung denke, desto glücklicher werde ich – das habe ich für mich entdeckt. Diese ständigen Ego-Fragen „Wie geht es mir, was will ich, wo kann ich mich verwirklichen, wer oder was steht mir dabei im Wege?“ führen in einen Teufelskreis, in dem man sich nur noch um sich selber dreht. Am Ende steht ein aufgeblähtes Ego, das irgendwann einsam in sich zusammenfällt. „Jeder Mensch braucht das Gefühl, gebraucht zu werden.“ Dieser Satz der bekannten schwedischen Kinderexpertin Anna Wahlgreen hat mich sehr beeindruckt.

Also sollte man eher nicht nach dem eigenen Glück suchen?

Reichenbacher: Um Himmelswillen, das war jetzt kein Plädoyer fürs Unglücklichsein. Ich denke nur, man sollte – wie so oft – das Beste aus beiden Welten verwirklichen. Natürlich ist es ein großer Gewinn, bedeutet auch große persönliche Freiheit, „Wie geht es mir?“ und „Was brauche ich?“ fragen zu dürfen. Was für ein großer Gewinn für uns Frauen! In anderen Zeiten durfte noch nicht mal diese Frage gestellt werden, es gab keine Wahl, Frauen hatten Ehefrau und Mutter zu sein. Ich glaube nur einfach, dass es unserer Seele und der Entwicklung der Persönlichkeit gut tut, etwas zu haben, an dem man sich inhaltlich abarbeitet.

Eine Aufgabe außerhalb meines Ichs, also meines „Wie kann ich mein Ego noch irgendwie erfüllen“. Egal, ob es darum geht, ein Unternehmen zu führen, ein Buch zu schreiben, sich um seine pflegebedürftigen Eltern zu kümmern, seinen Kindern eine tolle Mutter zu sein, oder auch eine karitative Aufgabe. Jeder Mensch möchte Teil einer Gemeinschaft sein. Verbunden zu sein mit der Welt, in der man gebraucht wird, das macht glücklich. Aber viele haben eben nicht das Gefühl, gebraucht zu werden. Viele haben das Gefühl, einfach nur ersetzt werden zu können und jederzeit austauschbar zu sein.

Gibt es für Sie eine Art Glücksformel? Was würden Sie zum Beispiel in aller Kürze auf die Frage Ihrer Töchter nach dem Glück antworten?

Reichenbacher: „Sei ehrlich zu dir selbst und folge deinem Herzen.“ Wer ehrlich zu sich selbst ist, findet seine Maßstäbe, seine Werte, und kann Prioritäten setzen. Man muss seinen eigenen Weg finden, um sein Glück zu finden.

Haben Sie selber einen kleinen persönlichen Glücksbringer, etwas, was Sie täglich mit sich herumtragen?

Reichenbacher: Viele kleine Zettelchen und Bildchen, die ich von meinen Töchtern zugesteckt bekam, als sie noch kleiner waren. Davon habe ich wirklich reichlich, sie sind überall – im Portemonnaie, in der Handtasche, auf dem Schreibtisch, an der Pinnwand, in der Küche. Da bin ich also gut versorgt und ich freue mich jedes Mal, wenn ich sie sehe. Und schon wäre da ein kleiner Glücksmoment. Was will man mehr?

Vielen Dank für das Gespräch.