Wenn es um die Liebe geht, wollen wir alles: die ganz großen Gefühle, Romantik und den Märchenprinz. Wir streben nach der Perfektion und übersehen dabei völlig, dass wir uns damit nur selbst im Weg stehen.

Wie muss er sein, der perfekte Partner fürs Leben? Seit unseren Jugendjahren malen wir uns aus, was genau er alles mitbringen muss, um uns im Sturm zu erobern. Denn nicht weniger soll es sein: eine Eroberung nach allen Regeln der Kunst. Wie eine Welle soll dieses intensive Gefühl der Zuneigung über uns hereinbrechen und uns mit sich fortreißen. Ausgelöst von dem einen Menschen, der uns versteht wie niemand sonst, der uns auf Händen trägt und uns jederzeit die Sterne vom Himmel holen würde. Genau so muss sie sein, die perfekte Liebe. Oder?

Wir alle haben diesen Wunsch in uns – und das ist auch gut so. Denn die Vorstellung, dass der perfekte Partner irgendwo dort draußen auf uns wartet, hilft uns durch die Momente, in denen unser Liebesleben in Schieflage geraten ist. Wenn das Date nach einigen Treffen plötzlich abtaucht und mit jemand anderem ausgeht, wenn die eigene Beziehung zerbricht oder einfach nur dann, wenn auch nach dutzenden erfolglosen Dates immer noch keine Spur vom Traumprinz am Horizont zu sehen ist. Dann hilft uns der Gedanke darüber hinweg, dass es einfach noch nicht der Richtige war. Dass der Eine, der perfekte Partner erst noch kommen wird und dann all die Versprechen einlöst, die er uns in unseren Träumen bereits gegeben hat.

Liebe wie im Märchen

So wohltuend diese Gedanken sind, so schnell werden sie auch zum Problem. Nämlich dann, wenn sie bei der Suche nach dem perfekten Partner das Kommando übernehmen. Die Details unserer Wunschvorstellung werden von einer tollen Option zu einem Muss, unser Sichtfeld verengt sich auf Stecknadelgröße und wer nicht in das vorgegebene Schema passt, fällt direkt durch. Warum auch nicht? Schließlich bekommen wir heute doch an allen Ecken vermittelt, dass wir alles haben können.

Besonders Hollywood sorgt an dieser Stelle für den großen Hach-Moment, denn in unzähligen Spielfilmen zeigt uns die Traumfabrik jedes Jahr, dass es diese perfekte Form der Liebe tatsächlich gibt. Dass wir sie alle leben können, wenn wir nur genug Geduld mitbringen und eifrig nach dem einen Kopf suchen, der durch unser Stecknadelloch passt. Und so jagen wir ihm voller Elan hinterher, unserem ganz persönlichen Hollywood-Märchen, immer weniger dazu bereit, sich mit etwas anderem als eben dieser Wunschvorstellung zufrieden zu geben.

Wir wollen immer mehr

Diese Suche nach der Perfektion hat mittlerweile viele Bereiche unseres Lebens erreicht und treibt vor allem die jüngeren Generationen an. Der perfekte Job muss es sein, eine Perfekte Wohnung, der perfekte Urlaub, die perfekten Fotos, ein perfekter Körper. Und natürlich darf auch der perfekte Partner nicht fehlen. Wir optimieren unser Leben, bis die Menschen darin bis zur Unkenntlichkeit verblassen. Hauptsache sie passen in das Bild, dass wir für unser Dasein entworfen haben. Wer wir selbst und auch die Anderen im Inneren sind, wird dabei ganz schnell zur Nebensache.

Ansprüche zu haben, vielleicht sogar hohe Anspürche, ist nichts Verkehrtes. Wir alle haben nur eine begrenzte Zeit auf Erden, die wir so gut wie nur möglich nutzen sollten. Doch die Liebe funktioniert so nicht. Wer sich auf die Perfektion konzentriert, wird immer etwas finden, was nicht ins Bild passt. Der falsche Job, die falschen Ernährung, schlechte Angewohnheiten wie Nägel kauen, eine andere Vorstellung vom perfekten Urlaub und und und. Was eigentlich nur eine Randnotiz sein sollte, wird plötzlich zur unüberwindlichen Hürde, weil im Hinterkopf immer der Gedanke herumspukt, dass die nächste Bekanntschaft vielleicht doch mehr von dem Gewünschten bietet,als derjenige, der uns gerade gegenüber sitzt. Weil die 100 Prozent noch nicht erreicht sind, stehen wir uns zunehmend selbst im Weg und nähren die tiefe Unzufreidenheit in uns, dass die Suche scheinbar nicht enden will.

Was habe ich zu bieten?

Was wir dabei nur all zu gern verdrängen ist die Frage, wie viel wir eigentlich selbst zu bieten haben. Denn es ist ja nur logisch, dass unser Gegenüber auch eine Vorstellung mitbringt, wie die perfekte Liebe aussieht. Da kann also Mr. Perfect auf der anderen Seite vom Tisch sitzen und trotzdem entsteht keine Hollywood-Romanze. Auch wenn er all unsere Kriterien erfüllt, wer sagt denn, dass wir auch die seinen befriedigen? Wenn er dann von all seinen Wünschen und Träumen erzählt und wir zunehmend merken, dass wir da nicht mithalten können, wird Mr. Perfect schnell zum oberflächlichen Idiot, der sich nicht für innere Werte interessiert. Da beißt sich die Katze selbst in den Schwanz. Denn im Grunde sind wir doch keinen Deut besser, solange wir verbissen nach der Perfektion suchen.

Wie viele wirklich nette Bekanntschaften hat man selbst schon in die Wüste geschickt, nur weil sie nicht ins Bild passten? Wie oft war man selbst die Oberflächlichkeit in Person mit unerfüllbaren Ansprüchen? Haben wir unserem Gegenüber damit also gar keine echte Chance gegeben, mehr als nur eine Anekdote von vielen zu sein, die man später seinen Freundinnen erzählt? Die ehrliche Antwort auf diese Fragen kann wehtun. Weil wir uns mitunter eingestehen müssen, dass wir all das, was wir am anderen Geschlecht verteufeln, selbst praktizieren.

Zufrieden mit der Hälfte?

Dass wir selbst nicht perfekt sind, wissen wir. Wir optimieren zwar eifrig an der ein oder anderen Stelle, doch die vollkommene Perfektion werden wir nie erreichen. Unser Traumprinz weiß das natürlich und liebt uns genau dafür. Für unsere Ecken und Kanten, unsere Launen, unser kleines Wohlstandbäuchlein und auch für unsere seltsamen Eigenheiten. Doch leider sind wir selbst oftmals nicht dazu bereit, dasselbe zu tun. Weil ein Kompromiss immer irgendwie einen schlechten Nachgeschmack mit sich bringt. Man hat irgendwie nur die Hälfte von dem bekommen, was man wollte. Bis zum vollkommenen Glück fehlt immer etwas. Und gerade in der Liebe sollte man doch nicht nur halbwegs glücklich sein, oder?!

Ist es denn überhaupt Liebe, wenn man nur halbwegs glücklich ist? Das kommt auf den Betrachtungswinkel an. Solang wir nur nach dem menschlichen Abbild unserer Idealvorstellung suchen, wird es vermutlich niemals Liebe sein. Denn solang uns dieser Gedanke vorantreibt, sind wir nicht an dem Menschen selbst interessiert. Es sind weder ein toller Job noch besondere Hobbies, die Haarfarbe oder die Einstellung zur richtigen Ernährung die uns Schmetterlinge in den Bauch zaubern, sondern der Mensch als Ganzes. Und zu dem gehören eben auch alle Ecken und Kanten, seine schwierigen Charakterzüge und seine körperlichen „Mängel“.

Dann ist er vielleicht keine 1,90 Meter groß, hat keine breiten Schultern und keinen höheren Posten in einer Bank. Wenn er dir dafür nach der Arbeit einfach so deine Lieblings-Zeitschrift und etwas zum Naschen mitbringt, weil er sich solche Dinge merkt, dir auch in Haushose sagt, das du für ihn die schönste Frau auf Erden bist und er trotzdem mit dir zum Strandurlaub auf die Kanaren fliebt obwohl er lieber in den Bergen wandern geht, sind all die Minuspunkte auf der „Mr. Perfect“-Liste bedeutungslos. Sich genau das bewusst zu machen, kann auch den Wert einer bereits seit Jahren bestehenden Beziehung wieder steigern.

Mit Liebe zusammenwachsen

Nur die Hälfte zu kriegen heißt am Ende immer auch Platz für Neues zu lassen. Wäre die Liebe und der Andere von Anfang an Perfekt, dürften sie sich um keinen Millimeter mehr verändern, denn dann wären sie nicht mehr perfekt. Doch wir Menschen verändern uns unser ganzes Leben, betreten immer wieder neue Pfade. Wir machen neue Erfahrungen, die man selbst vielleicht nie auf der persönlichen Agenda hatte, lernen neue Betrachtungsweisen kennen, entdecken uns selbst neu, weil wir zunehmend lernen, wie der Andere uns sieht.

Und wir entwickeln uns auch selbst weiter – allerdings nicht mehr im ständigen Optimierungswahn, sondern als Teil einer Gemeinschaft, die aus zwei getrennten Wegen einen gemeinsamen macht, die stolpert und ins Straucheln gerät und wo doch die Gewissheit herrscht, dass da immer eine vertraute Hand sein wird, die uns wieder aufhilft, wenn wir gefallen sind. Die uns zwar manchmal auch zum Wahnsinn treibt, uns aber gleichermaßen das Gefühl gibt, angekommen zu sein. Und dann wird aus der Hälfte von ganz allein das perfekte Ganze.

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Bildquellen: Photo by Steve Halama on Unsplash