Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Was für ein banaler Satz, habe ich immer gedacht. Ich war der perfekte Aufschieber. Noch drei Tage Zeit? Dann mache ich es eben an Tag drei. Die Zeit wird schon reichen.

Dass ich mich mit diesem Verhalten immer wieder aus meiner Balance gebracht und unnötigen Stress auf mich genommen habe, war mir egal. Heute ist es mir nicht mehr so gleichgültig, denn ich mag es nicht, mich selber aus dem Gleichgewicht zu bringen. Besser heute als morgen hat noch einen anderen Aspekt. Heute lebe ich im Jetzt, morgen bereits in der Zukunft. Achtsamkeit bedeutet allerdings offen und neugierig zu sein, auf das, was das Leben im Moment zu bieten hat. Achtsamkeit bedeutet da zu sein, den Augenblick mit allen Sinnen zu erleben und nicht ständig aufzuschieben.

Angst vor mir selbst

Ein weiterer entscheidender Punkt bei der Achtsamkeit ist, den Moment nicht zu bewerten. Dem eigenen Erleben wird mit Neutralität begegnet. Gewohnheiten werden dadurch gebrochen, aufgelöst. Durch diese Haltung ist ein Paradigmenwechsel möglich, der Raum für neue Erkenntnisse und Einsichten öffnet. Dinge, die selbstverständlich geworden sind, können neu betrachtet werden und wieder überraschen oder erfreuen. Aufschieben bedeutet, dem Moment aus dem Weg zu gehen, welche Motivationen dafür auch immer entscheidend sind. Meine Motivation aufzuschieben war meistens eine Art von Angst. Ich habe zum Beispiel Angst vor meinen eigenen Worten. Ich habe Angst, nicht die richtigen Worte zu finden. Das ist ein bisschen grotesk für jemandem, der sich beruflich dem Schreiben verpflichtet hat. Ich möchte nicht mehr schieben, weil ich im Heute ankommen will und das nach Möglichkeit in jedem Lebensbereich.

Viele Partnerschaften leiden mehr oder minder zwangsläufig unter dem Aspekt, dass der Partner immer weniger gesehen wird. Sein Bild ist in der Vergangenheit entstanden und er könnte sich bereits stark verändert haben, nur sitzt er da in dieser vorgefertigten Schablone aus Annahmen und Vermutungen und ist zu einem starren Bild mutiert. Der Partner ist eben bekannt, jedes Verhalten von ihm ist voraussehbar. Aber ist das wirklich so? Sind Menschen so, dass sie keine neuen Verhaltensweisen mehr zeigen? Wie kommt es dann, dass Beziehungen für eine Seite völlig überraschend auseinanderbrechen? Wie ist es möglich, dass ein Gericht, das bereits unzählige Male gegessen wurde, aus einer achtsamen Haltung heraus, ganz neue geschmackliche Variationen zeigt? Haben sich urplötzlich die Dinge verändert oder ist es nur der Blick auf das, was passiert? Wir nehmen im Alltag meist nur Teilbereiche wahr. Unsere Verarbeitung von Wahrnehmung ist auf das Nötigste beschränkt. Tatsächlich würde es uns deutlich überfordern zu jeder Tages- und Nachtzeit alle möglichen Eindrücke aufnehmen zu müssen.

Den Fokus auf das Schöne legen

Ich bin hochsensibel und außerdem, was eher selten ist, hochgradig extrovertiert. Immer auf der Suche nach neuen Reizen ist mein System schnell überfordert. Jeder Hochsensible hat bestimmte Richtungen, auf die sich seine verstärkte Wahrnehmung richtet. Bei mir sind das vor allem emotionale Bereiche. Es ist so als würde ich Schwingungen im Raum wahrnehmen. Die Gefühle anderer Menschen erreichen mich irgendwie. Ich fühle, ob es jemandem gut geht oder schlecht und war früher immer der Ansicht, meine Wahrnehmungen würden von anderen geteilt. Generell ist die Hochsensibilität wundervoll, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass gelernt wurde mit ihr umzugehen. Im anderen Fall kann sie einfach nur überfordern.

Schriftstellerisch hilft mir die Hochsensibilität, weil sie mich in die Lage versetzt, Emotionen über Worte zu transportieren. Aber auch in meinem Alltag freue ich mich oft, Regungen von Menschen aufzunehmen und natürlich auch meine eigenen. Seit ich gezielt darauf achte, achtsam zu sein, genieße ich es manchmal, bewusst Augenblicke zu spüren, auch die der Angst, wenn ich mal wieder bereit bin, alles zu verschieben. Achtsamkeit zu erlernen, ist eine Art von persönlichem Geschenk, denn sie führt einen immer wieder zum eigenen Selbst zurück. Mit der Achtsamkeit wurde mir zum Beispiel bewusst, dass meine Ballettübungen auf der Arbeitsplatte, die ich vor einem Jahr begonnen habe, in einer Zeit, in der mein Körper noch extrem geschwächt war, eine gefährliche Angelegenheit waren. Zum damaligen Zeitpunkt musste ich diese Tatsache ignorieren, sonst hätte ich auf diese Art und Weise niemals trainiert. Es war aber wichtig, beide Seiten meines Körpers zu trainieren, weil ich schräg war an allen Ecken. Diese Krankheit hat Muskeln an jeder Stelle meines Körpers verkürzt und dagegen musste ich etwas unternehmen. Achtsam wurde mir vor kurzem dennoch bewusst, dass die Arbeitsplatte sehr glatt ist und natürlich nirgendwo einen Halt bietet.

Nachdem ich tatsächlich vor einigen Wochen den Halt verloren habe und auf den Rücken gefallen bin wie ein gefällter Baum, nehme ich die Gefahr sehr ernst, trainiere zwar weiter, aber mit höchster Aufmerksamkeit. Ich gehe sehr langsam vor und lasse die Beschaffenheit der Platte auf mich wirken, überprüfe meine Fußstellung, ehe ich mich langsam in eine Auswärtshaltung begebe. Das gibt mir die erforderliche Sicherheit, mich hinauszuwagen aufs offene Meer. Es gibt so viele Situationen im Alltag, die mit Achtsamkeit neue Erkenntnisse liefern. Ich mag es, meinen Partner bei Gesprächen zu beobachten, Neues in seiner Mimik zu entdecken oder das wiederzufinden, was mich bei unserem Kennenlernen an ihm fasziniert hat. Ein wiederentdecktes und bekanntes Lächeln, ganz tief in mir wahrgenommen, macht mich glücklich. Der Stimme zu lauschen und mir klar zu machen, wie sie sich anhört, gestresst, liebevoll oder begeistert. Das ist schön und lässt den Partner wieder leuchten.

Auch das gehört zum Bereich besser heute als morgen. Es ist die Bereitschaft, sich auf die Augenblicke des Lebens einzulassen und damit auch auf die Menschen, die einen umgeben. Lassen wir heute eine neue Sicht zu. Begegnen wir den Menschen mit einem Lächeln, bereit, auch ihr Lächeln zu erkennen. Den Fokus auf das Schöne zu legen, ist ein guter Weg, den negativen Dingen, den Raum zu nehmen. Und das besser heute als morgen.

Einen kleinen Exkurs, wie ihr Eure Gedanken dabei auf das hier und jetzt richten könnt, haben wir Euch dafür hier zusammengestellt.