Loslassen, fallenlassen, hingeben – oft sind es Frauen, die sich damit so schwer tun. Warum ist das so und was können wir tun, um frei für eine erfüllende Sexualität zu sein? Werfen wir einmal einen Blick auf die Hindernisse.

Unser Alltag ist rasant. Die Tage sind voll mit Terminen, Verpflichtungen und Aufgaben. Oft fallen wir abends erschöpft und gestresst ins Bett. Unser immer schneller werdendes Leben spiegelt sich auch in unserer Sexualität wider: Wir gönnen uns immer weniger Zeit und Ruhe für genussvolle Momente mit unserem Partner. Lang sind sie her: Die Tage, als wir regelrecht übereinander hergefallen sind, uns die Kleider vom Leib gerissen und uns hemmungslos geliebt haben.

Kommt dir dieses Szenario bekannt vor? Dann bist du nicht allein. Mit den Jahren einer Beziehung wird bei vielen Paaren auch der Sex immer seltener, verliert häufig an Qualität und die Lust auf Leidenschaft aus der einstigen Verliebtheit heraus ist längst verflogen. „Es ist nun halt so“, mögen sich manche sagen hören und finden sich mit diesem Zustand ab. Dabei sehnt sich jeder Mensch – ungeachtet seines Alters – nach Zärtlichkeit. Mehr noch: Sex als höchste Form der körperlichen Begegnung zweier Menschen bedeutet tiefste Verbundenheit mit einem Partner. Eine erfüllende Sexualität kann sehr heilsam sein und doch braucht sie einen gewissen Grad an Freiheit in unserem Denken, damit sich Geist und Körper so richtig darauf einlassen können.

„Das macht man nicht“

Gerade Frauen haben dabei häufig ein konkretes Bild davon vor Augen, wie sie in ihrer Sexualität zu sein haben. Das sind beispielsweise Vorstellungen darüber, was vermeintlich erlaubt ist und was nicht: „Ich muss beim Sex leise sein“, „Diese Stellung ist unvorteilhaft für mich“ oder aber „Es ist mir peinlich, mich lustvoll zu zeigen“, um nur einige wenige davon zu nennen. Eine Frau beispielsweise schämte sich einmal sehr, als sie mir in einer Sitzung davon erzählte, dass sie im letzten Jahr mit drei unterschiedlichen Männern geschlafen hatte. Die Frau war nach einer langen unglücklichen Ehe gerade frisch geschieden und hatte einen deutlichen „Nachholbedarf“, den sie nun auch ausleben wollte. Es war ihr sichtlich peinlich, darüber zu sprechen, weil sie Angst davor hatte, als „Schlampe“ abgestempelt zu werden. Schließlich gehöre es sich nicht, als erwachsene Frau um die 50 unverbindliche Affären zu haben.

In unserer Gesellschaft sind Frauen, die sich einfach so ihrer Lust hingeben, meist verpönt. Das macht man nicht. Das gehört sich nicht. Das ist schmutzig. Und nun frage ich: Welches Regelwerk definiert denn eigentlich, was in der Sexualität erlaubt ist und was nicht? Keines!

Ein Selbstexperiment

Grundsätzlich darf jede Frau das tun, was ihr Spaß macht! Frage dich einmal selbst, was würde dir Lust und Freude bereiten, wenn du alle hinderlichen Gedanken in den Papierkorb stecken könntest? Welche Meinungen und Ansichten über Sex vertrittst du bisher? Welche Vorstellungen hast du und möglicherweise auch, welches idealisierte Bild von dir selbst? Dazu empfehle ich dir, einmal alles aufzuschreiben, was du bisher über Sexualität gedacht hast. Vielleicht sind manche Gedanken gar nicht deine eigenen – du hast sie irgendwo gelesen, von einer Freundin aufgeschnappt oder du hast die Überzeugungen deiner Eltern übernommen und mit in dein eigenes Erwachsenenleben getragen. Das Bewusstmachen der eigenen Gedanken ist der erste Schritt, um sich dann dafür zu entscheiden, welche hinderlichen Glaubenssätze du möglicherweise aufgeben möchtest.

In einer ähnlichen Weise habe ich mich vor vielen Jahren einmal selbst auf ein Gedankenexperiment begeben und mir folgende Fragen gestellt: Wer bin ich als sexuelle Frau, wenn ich keine inneren Ideen, Vorstellungen und Bilder darüber in mir hätte, wie ich zu sein habe? Wie fühle ich mich, wenn ich mir keine Gedanken über mein Sexleben machen würde? Wenn es mir nicht möglich wäre, mir auch nur irgendeine Vorstellung darüber zu machen, was beispielsweise erlaubt, okay oder abstoßend ist – wer wäre ich dann? 

 
Meine Erkenntnis wirkte sich erhellend und auch körperlich aus: Ich fühlte mich leicht, entspannt und weich. Ich konnte tiefer durchatmen. Nichts begrenzte mich mehr oder engte mich ein. Ohne meine bisherigen Glaubenssätze fühlte ich mich schlicht großartig! Ich fühlte mich frei! Dieses simple Experiment verdeutlicht, wie sehr wir von Gesellschaft, Medien, Freunden, Eltern und Erfahrungen geprägt und beeinflusst sind. Wie kannst du dich frei fühlen, wenn dir alle sagen, wie eine gute und richtige Sexualität zu sein hat? Du nimmst dir unbewusst alle diese „Do’s“ und „Dont’s“ an, so dass du wie selbstverständlich mit ihnen lebst und ihnen folgst – so, als wären sie ein Gesetz. Erstaunlich, oder nicht?

Zeig deine Bedürfnisse

Wir wünschen uns eine erfüllende Sexualität, vergessen dabei aber häufig, dass diese bereits vor den Türen unseres Schlafzimmers beginnt. Lebst du in einer liebe- und vertrauensvollen Partnerschaft, dann wird es dir leichter fallen, dich deinem Partner mit all deinen Wünschen und Sehnsüchten zu zeigen. Je offener ihr miteinander seid und je besser es dir gelingt, dich mit deinen Bedürfnissen zu zeigen, desto müheloser kannst du dich deinem Partner auch in der Sexualität hingeben. Jeder Mensch hat ein natürliches Grundbedürfnis nach Nähe und Verbundenheit: Haut- kontakt, Berührungen, Zärtlichkeiten und Küsse sind wichtig für unser Wohlbefinden. Sex ist eine starke Kraft, die dich belebt, stärkt, nährt und dich in deinen Körper bringt. In unserer kopflastigen Gesellschaft ist die Körperlichkeit als Ausgleich wichtig: Unsere Seele ist schließlich im Körper zu Hause.

Dein Körper ist schön

Du hast einen einzigartigen Körper. Und doch hat fast jede Frau an diesem Wunderwerk etwas auszusetzen: Zu dick, zu dünn, der Busen zu klein, zu groß, zu hängend, der Hintern hat Dellen, die Schenkel schwabbeln, die Haare zu fein, Schlupflider, Riesennase, Lachfalten – die Liste vermeint- licher Makel ist lang. Wir finden immer etwas!

Mach dir bewusst: Auf dem Weg in eine genussvolle Sexualität begegnest du an erster Stelle dir selbst. Du nimmst dich mit ins Bett! Kann dein Partner auf dich abfahren, wenn du es selbst nicht tust? Lerne deinen Körper zu lieben und ihn anzunehmen wie er ist. Die Liebe deines eigenen Körpers ist ein riesiges Geschenk an dich selbst und der Schlüssel zu deinem Genuss. Wenn du dich sauwohl mit dir fühlst, dann wirst du es leicht haben, dich in der Sexualität zu öffnen, dich zu zeigen und dich hinzugeben. Wenn es (fast) nichts mehr gibt, was du an dir zu kritisieren hast, dann folgt innerer Frieden, Ruhe und Fülle. Und das ist ein toller Ausgangspunkt, um deine Sexualität weiter zu erforschen!

Was dir gut tut

Das ist der wichtigste Punkt auf deinem Weg in eine erfüllte Sexualität: Finde heraus was dir Freude bereitet, was dich anmacht, was dich erregt und worauf du abfährst. Was dir gut tut ist der Schlüssel zu deiner Lust und Entspannung. Herauszufinden was DIR gefällt, bedeutet zu experimentieren und neugierig zu forschen: Zeig deinem Partner wo deine sensibelsten Körperstellen sind und wie du dort berührt werden möchtest. Zeig es ihm, indem du dir selbst die Berührung schenkst, die du dir wünscht, und er macht es nach. Finde eine liebevolle Sprache, wie du ihm erklärst, was dir gut tut. Oder lass ihn durch deine Stimme wissen, wenn er dir Lust bereitet.

Und wenn du keine Idee hast, was dir gefällt, dann beginne bei irgendeinem Körperteil: Lass dich sanft am Hals küssen oder deine Brüste berühren. Wie fühlen sich Berührungen auf den Armen an? Erlaube dir ein „nicht Wissen“ und dann ein langsames erforschen deiner Bedürfnisse ganz in deiner Zeit. Alles, was dir Freude und Lust bereitet, ist erlaubt! Probiere verschiedenes aus, um festzustellen, was deins ist und was nicht. Die meisten Frauen haben Vorstellungen davon im Kopf, wie ein Orgasmus „zu sein hat“. Und die Filmbranche tut ihr übriges, um unser Kopfkino zu nähren. Ein spanischer Sexartikelhersteller engagierte einmal zwei Schauspielerinnen, die Orgasmen vorspielten. Eine Reihe von Personen wurde anschließend befragt, ob diese echt oder nicht echt seien. 60 Prozent der Teilnehmer lagen daneben. Wahr ist, dass es mindestens so viele verschiedene Orgasmen gibt wie Frauen auf der Welt! Orgasmen sind für jede Frau einzigartig und oft jedes Mal anders: sanftes strömen durch den Körper, lustvolle Kontraktionen im Unterleib, überfließende Wellen durch den ganzen Körper, Wärme- und Kälteschauer, kribbeln, beben, stöhnen, tiefes atmen, Erregung in bestimmten Teilen deines Unterleibs…

 Du bist ein empfindsamer, sinnlicher Mensch, der dazu in der Lage ist, schöne, lustvolle und erregende Begegnungen zu erleben. Hast du Lust auf dieses Abenteuer?
Bildquellen: © Raphael Hilliger