Das Wort Pilgern hat seinen Ursprung im Lateinischen, wo es so viel heißt wie „in der Fremde sein“. Heute verstehen wir darunter eine aus religiösen oder spirituellen Gründen motivierte Reise, meist zu einem Heiligtum, an dem wir uns dem Göttlichen besonders nah fühlen. Pilgerfahrten sind dabei aber nicht nur eine christliche Erscheinung. Es ist auch in anderen Weltreligionen, wie dem Judentum, dem Islam, dem Buddhismus und Hinduismus, fest verankert. Pilgern kann man aber auch losgelöst vom religiösen Kontext, indem man es allgemein als Reise zu einem Ort versteht, den man besonders verehrt. Dennoch geht das Pilgern auf eine gemeinsame Erfahrung gläubiger Menschen verschiedener Religionen zurück: das Spüren besonderer göttlicher Kräfte auf bestimmten Wegen oder Orten.

Im Wandel der Zeit

In früheren Zeiten pilgerten die Menschen primär aus religiösen Beweggründen. So auch Abraham, der als Stammvater des Christen- und Judentums sowie des Islam gilt. Von ihm sagt man, dass er der erste Pilger war. Bereits aus seiner Pilgergeschichte entnehmen wir, wie sehr ihn Erlebnisse auf dem Weg prägten.

Im Mittelalter erlebte das Pilgern einen wahren Boom und erfasste alle Bevölkerungsschichten. Neben Jerusalem, Rom oder Santiago de Compostela steuerten die Pilger auch als heilig betrachtete Wallfahrtsorte oder die Gräber von Heiligen an. Wichtig dabei: Pilgern musste anstrengend sein. Nur so glaubte man, Seelenheil zu erlangen, Dank an die göttliche Allmacht richten oder Buße tun zu können. Im Spätmittelalter bewahrten so genannte Strafpilgerreisen sogar vor der Todesstrafe. Etwa zu jener Zeit wurde auch die pure Abenteuerlust sowie das Kennenlernen neuer Länder, Menschen und Kulturen zunehmend zum Beweggrund für eine Pilgerreise.

Gleichzeitig gerät das Pilgern zunehmend in Misskredit. Berufspilgern, die für andere Leute gegen bare Münze pilgern und das teils schamlose ausnutzen von Pilgerprivilegien, wie gratis Kost und Logis, sei Dank.

Mit der Reformation nimmt das pilgern rapide ab. In Norwegen wird es 1537 sogar unter Todesstrafe gestellt. Gleichzeitig reformiert sich das Pilgern. Etwa, indem man es nicht länger als Zwang, sondern als freiwillige, individuelle Tat zu erkennen beginnt. Trotzdem bleibt das Pilgern bis weit ins 20. Jahrhundert eine Randerscheinung, der nur wenige Menschen nachgehen.

Pilgern heute

Beim Pilgern ist der Weg das Ziel. Wegkreuze laden immer wieder zur stillen Andacht ein

Erst vor wenigen Jahrzehnten wurden alte Pilgerrouten wiederentdeckt und man wurde auch wieder auf kulturelle Kleinode aufmerksam. Sie machten das Pilgern wieder populär. Pilgern hat heute aber auch viel mit Verehrung zu tun. Viele pilgern etwa zu den Grabes- oder Gedenkstätten von Personen, die sie besonders verehren. Graceland, der Wohnsitz von Elvis Presley, gehört genauso dazu, wie etwa Grabesstätten großer Politiker. Die Erfahrungen, die die Besucher an solchen Orten machen, sind durchaus mit jenen von klassischen Pilgerstätten vergleichbar.

Dazu kommt heute der Wunsch nach Entschleunigung und etwas Gutes für den Körper zu tun. Pilgern drückt heute aber auch den Wunsch nach Einfachheit, nach der Verbundenheit mit Natur, Geist und Seele aus. Pilgern ist heute nicht mehr nur die Reise zu einem religiösen Ziel. Pilgern kann auch eine Reise zu sich selbst sein.

Der Weg ist das Ziel

Beim Pilgern geht es nicht nur darum, ein fernes Ziel, wie Lourdes oder Medjugorje, zu erreichen. Pilgern kann auch die innere Ausgeglichenheit, die innere Spiritualität zum Ziel haben. Dazu braucht es nicht hunderte Kilometer lange Wanderungen und Blasen an den Füßen. Viele Pilgerwege führen ganz in unserer Nähe vorbei und führen durch liebliche, reizvolle Landschaften, die wir so vielleicht noch gar nicht kennen. Sie kreuzen auch zahllose kulturelle und religiöse Kleinode. All das bietet uns, auch auf kurzen Teiletappen, mehr als reichlich Gelegenheit, unsere ganz persönlichen Ziele zu erreichen.

Den Geist reinigen

Pilgermärsche können ganz schön anstrengend sein. Besonders, wenn der Weg durch die Alpen führt. Dabei merken wir schnell, dass Denken anstrengend sein kann. Also reduzieren wir es im Unterbewusstsein auf das absolut Nötigste. Das macht nicht nur den Kopf frei. Es hilft auch, die Natur intensiver zu fühlen und unseren Blick auf unscheinbare Details zu schärfen.

„Die Spiritualität des Pilgern liegt auch im den Alltag hinter sich zu lassen. Keine Termine, kein Stress, nichts, was einen innerlich aufwühlt. Einfach nur Ruhe und Geborgenheit“, so hat es uns ein Pilger beschrieben, der uns auf dem Jakobsweg begegnet ist. Auf die Frage, ob er den ganzen Jakobsweg geht, meinte er nur, dass er längst am Ziel angekommen sei. Sein Ziel war Glück und Zufriedenheit zu finden. „Die Anstrengungen der Wanderung sind nur Mittel zum Zweck und gehören dazu. Ich werde also noch weiterwandern und werde sehen, wie weit mich meine Füße tragen. Und so bleibe ich an meinem Ziel. – Heißt es doch: Der Weg ist das Ziel.“

 

Mehr über das Pilgern, die Suche zu sich selbst und den Mut, neue Wege im eigenen Leben zu beschreiten, finden Sie im AUSZEIT-Magazin.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von © trfilm und ©trfilm