„Ab auf die Insel!“ Ein Spruch, den jeder kennt, und der zumeist Sonne, Urlaub, Abschalten suggeriert. Klar, das ist in der Regel nicht verkehrt. Aber es gibt da noch etwas anderes: Geschichten erzählende Steine und Bäume, und das Zusammenspiel von Wind und Wasser, das auf der einen Inselseite Land verschwinden lässt, um es auf der anderen Seite neu entstehen zu lassen. Die Geheimnisse der Inseln sind vielfältig. So steht eine Insel sehr oft im Kleinen als Beispiel für das Große, für den Rhythmus unseres Lebens zwischen Wandel und Ewigkeit, zwischen Werden und Vergehen…

Meine Kindheitsjahre habe ich an der Küste verbracht. Aufgewachsen in einer kleinen Stadt, von der es am Sonnabend nach der Schule mit dem Bus ans Wasser ging – dreißig Minuten Fahrt in das Küstendorf, in dem unsere Familie ein kleines Sommerhaus hatte. Die Ferien verbrachte ich mit meinen Geschwistern komplett dort: am, im und auf dem Wasser, oder mit meinen Geschwistern die Steilküste entlangkletternd, oder auch im kleinen Fischereihafen, wo es so romantisch nach Tang und Teer roch und die alten Fischer „up Platt“ ihr Seemansgarn sponnen.

Die Ewigkeit auf der Insel einfangen

Ich war damals noch nicht einmal zehn Jahre alt, als ich meine Begeisterung für das Steinesammeln entdeckte. Nicht irgendwelche Steine, sondern solche, die eine lange und geheimnisvolle Geschichte erzählten, zumindest in meinen Augen. Sehr schnell hatte ich gelernt, wie ein Donnerkeil aussieht und wo er herstammt. Ich kannte die mystischen Geschichten um die Hühnergötter und es war immer wieder ein wunderbarer Moment, wenn ich einen Stein entdeckte, der in seinem früheren „Leben“ mal etwas anderes war. Egal ob es einer wissenschaftlichen Prüfung standgehalten hätte oder nicht. Solche Versteinerungen oder versteinerte Spuren und Abdrücke ließen mir immer einen wohligen Schauer den Rücken hinunterlaufen. Was ich in der Hand hielt, war das Ergebnis einer unfassbar langen Zeit, ein kleines Fenster, das sich öffnete und mich Jahrtausende oder gar Jahrmillionen zurückblicken ließ.

Während meine Mutter für meine Sammlung schmunzelnd einen Platz im Regal freiräumte, habe ich mir als leshungriger Knirps alle möglichen Informationen zusammengesammelt. Wie alt können Steine werden? Welche Geschichten erzählen sie? Und wo sind die interessantesten von ihnen zu finden? Und klar war, der Strand ist immer ein Eldorado für Sammler von Geschichten-Steinen. Vor allem, wenn er an der offenen See lag, und die Wellen Tag für Tag neue Exemplare anspülten, sogar das sagenumwobene Bernstein, das seine ganz eigenen Geschichten in sich barg. 

Übrigens, selbst die vielen unscheinbaren rundgeschliffenen Steine hatten etwas zu erzählen. Wer sich einmal vorstellt, wie müsam es wäre, einen Stein mit eigenen Händen dermaßen rund zu schleifen, bekommt ein gutes Maß an Ehrfurcht vor dem, was die Zeit an Wandel zu vollbringen mag …

Wie alt können Steine werden?

Im Nordosten Kanadas, an der Hudson-Bucht, liegt der Nuvvuagittuq-Grünsteingürtel. Dort findet sich das älteste Gestein der Erde. Sein Alter wird auf 4,28 Milliarden Jahre datiert. Fast genauso alt sind die Gneise von Acasta, ebenfalls in Kanada gelegen. Im Südwesten Grönlands liegt die drittälteste Gesteinsformation, immerhin noch 3,8 Milliarden Jahre alt. Im Laufe kleiner Ewigkeiten entsteht durch Erosion aus solchen Formation einer Masse kleiner Brocken, Kieselsteine und schließlich auch Sand.

Die Geheimnisse der Zeit, auf Inseln verborgen

Aber nicht nur die Steine konnten Geschichten erzählen. Beeindruckend und beinahe ein wenig unheimlich erschienen uns die Bäume, die sich im Laufe ihres Lebens dem Wind gebeugt haben und in die Richtung des Windes gewachsen sind. Den Begriff „Windflüchter“ kannten wir damals noch nicht. Aber wenn sich der ganze Wald zum Abend hin trotz Windstille lautlos ächzend in eine Richtung zu beugen scheint, kann es schon ziemlich gespenstisch wirken. 

Wenn ich mit meinen Geschwistern auf Abenteuertour war, waren wir nicht selten an unserem Lieblingsabenteuerort unterwegs, nicht ganz so gespenstisch, aber dennoch faszinierend. Dort spülte das Wasser jedes Jahr immer mehr Küste ab. Es entstand eine kleine Steilküste, an deren oberen Rand Bäume wuchsen, denen Jahr für Jahr quasi mehr Boden unter den „Füßen“ weggezogen wurde. Ein Teil der Wurzeln hing in der Luft und bildete für uns einen geheimnisvollen, weil immer wieder veränderten Ort zum Klettern, zum Verstecken und für die eine oder andere Mutprobe. Ein Jahr später war es dann vielleicht sogar unser Lieblingsbaum, den die Wurzeln nicht mehr gehalten haben und der nun quer und absterbend über dem Strand lag. Gleichzeitig entstanden neue Kletterwege, neue Höhlen, neue Gelegenheiten, seinen Mut auszuprobieren.

Gedanken über die Vergänglichkeit oder den Klimawandel haben wir uns damals nicht gemacht. Das kam erst viele Jahre später. Aber da waren wir sowieso nicht nur ein Stück weiser und melancholischer geworden, sondern auch schwerer und ungelenkiger. Nicht mehr wirklich fit für solche Mutproben. Auch ein Zeichen der Zeit.

Es gibt auch im Meer des Lebens keine ewigen Felsen.

Ricarda Huch

Meine persönlichen Insel-Geheimnisse

Der Heimatstrand meiner Kindheit lag am Strelasund. Wir hatten es also nur einen guten Kilometer weit bis zur Insel Rügen, der großen Insel, auf die wir Tag für Tag hinüberschauten. Ich kann mich noch erinnern, wie zwei sächsische Touristinnen von unserer Strandpromenade aus auf die gegenüberliegende Küste schauten und staunten, wie dicht doch Schweden sei. Wir Knirpse wussten es besser, aber haben es den Frauen aus Sachsen nicht vorgeworfen, schließlich kamen sie ja von ganz weit weg.

Doch auch für uns waren anderthalb Kilometer Wasser nicht so ohne weiteres zu überwinden. Mit unserem ersten kleinen Familienboot brachte uns mein Vater dann auch endlich nach „drüben“, auf die Insel. Und das war für uns Kleinen schon eine andere Welt. Wir legten an menschenleeren Stränden an, die wir ganz für uns hatten und gingen auf Entdeckungsreise. Wir testeten Landzungen aus, die uns weit ins Wasser gehen ließen, wir gingen über unendlich weit erscheinende Wiesen bis hin zu den für diese Insel so typischen Baumalleen. Und ich konnte meine Steinesammlung um ein paar tolle, geschichtenträchtige Exemplare erweitern, die das Wasser aus der hier offenen See an Land gespült hatte.

Übrigens wurde unser erster Tag am leeren Inselstrand noch aus einem ganz anderen Grund zu einem kleinen Abenteuer. Als wir unsere Picknick-Utensilien aus dem Boot an den Strand getragen hatten, erschienen einige Köpfe auf der Anhöhe hinter dem Strand. Köpfe mit Hörnern. Und fünf Minuten später hatte eine halbe Kuhherde unseren Landeplatz in Beschlag genommen. Die Kühe schnupperten am Essenskorb, kauten bedächtig auf unseren Campingstühlen herum und blickten misstrauisch auf unsere Angeln, während wir uns ins Wasser „gerettet“ hatten. Als sie ihre Neugier befriedigt hatten und wieder bergauf verschwanden, haben wir dann feststellen können, dass auf dieser Seite gar kein Weidezaun gezogen war. Wo sollten die Kühe denn auch hin, schließlich war es doch eine Insel …

Was sind Windflüchter?

Als Windflüchter bezeichnet man Bäume und Sträucher, deren Wachstum an die vorherrschende Windrichtung angepasst ist. Sie weisen einen einseitig verstärkten, der Wetterseite abgeneigten Wuchs auf – es sieht aus, als „flüchten“ sie vor dem Wind. Dieser spezielle Wuchs geht mit mehr oder minder deutlicher Schiefstellung des Stammes, exzentrischer Jahresringausprägung und fahnenförmiger Kronenbildung einher. Besonders auffälige Bäume mit diesem Wuchs gelten als Wahrzeichen bestimmter Regionen oder tauchen als beliebte Motive in der Malerei auf.

Nach Hause auf die Insel

Veränderungen wahrzunehmen, heißt nicht immer oder nicht nur, dass sich alles um uns herum geändert hat und weiter ändern wird. Es heißt immer auch, dass sich unser Blick verändert hat, dass wir uns selbst verändert haben. 

Auch mit meinen eigenen Töchtern (ich habe dann tatsächlich nach Sachsen geheiratet) habe ich auch weiterhin viele Ferienwochen bei meinen Eltern an der Küste verbracht. Ich habe versucht, meine romantische Liebe zum Meer an meine Kinder weiterzugeben. Viele Kilometer Abenteuerwanderung, Bootsfahrten an leere Strände, im Sturm der lauten Brandung lauschen, nachts bei spiegelglatter See sich den Mond im Wasser spiegeln sehen – als wäre da ein Weg, auf dem man direkt zu ihm gehen könnte. Ich selbst fühlte mich wieder zuhause, im Sinne von „hier komme ich her und hier will ich auch immer wieder hin“.

Aber dennoch war einiges anders. An der verwitterten Steilküste, an der ich damals noch bedenkenlos herumgetobt hatte, sollten meine Töchter lieber nicht spielen. Sicherheitshalber. Außerdem stand ich ein wenig verwundert an der einen oder anderen Stelle und blickte auf den Ort unserer Mutproben – er schien jetzt so klein geschrumpft, so belanglos, so wenig herausfordernd. Eigentlich wusste ich sofort, dass das jetzt der typische Erwachsenenblick war. Genau mit diesem Blick nahm ich auch wahr, dass viele der Bäume gar nicht mehr auf der Anhöhe standen. Das Altholz war weggeräumt und der ganze Strand zwar sauber aber auch deutlich verkleinert. Das Wasser hatte sich genommen, was es gewollt hatte…

Warum rauscht das Meer?

Hier mal eine vielleicht etwas unromantische Beschreibung des so romantisch wirkenden Meeresrauschens: Eine Brandung bezeichnet das mit der Bildung von Gischt verbundene geräuschvolle Verhalten von Wellen, wenn sie extrem flache Bereiche eines sehr großen Gewässers, also vor allem die Küsten- bzw. Uferzone, erreichen. Sie entsteht dadurch, dass im zunehmend flacher werdenden Wasser die Wellen immer höher werden und schließlich brechen. Die damit insgesamt verbundenen Strömungen haben einen großen Einfluss auf Erosion und Sedimentation an Flachküsten. Das Geräusch der Brandung an Meeresküsten wird im alltäglichen Sprachgebrauch „Meeresrauschen“ genannt.

Ich bewahre die Geheimnisse der Inseln weiterhin im Herzen

Trotzdem. Ich spüre immer noch eine große Wärme im Herzen, wenn ich im Norden bin. Wenn ich das Meer sehe, die Kraft der Wellen spüre, das Salz in der Luft rieche. Ob im alten Fischerdorf oder auf der Insel, ob allein oder in Begleitung. Als meine Töchter schon größer und unsere Familie getrennt war, bin ich mit meiner Freundin Jahr für Jahr nicht nur zu meinen Eltern sondern auch auf meine Insel gefahren. Es war immer wieder von Neuem schön, es gab immer wieder etwas zu entdecken. Wir haben in diesen Jahren die Insel quasi umrundet. 

Wir waren zum Beispiel an einem wundervollen Herbsttag an der Südküste, in einem kleinen Städtchen mit weißen, säulenumbauten Kurgebäuden und haben in einer romantischen, der Nautilus nachempfundenen Gaststätte gegessen. Bis wir dann vom Kellner hinauskomplementiert wurden: Ein Orkan sei im Anmarsch, alles sei inzwischen auf dem Weg ins sichere Zuhause. So wurde unsere Rückfahrt dann auch ein wenig abenteuerlich – im Schritttempo der Feuerwehr hinterher, die mit Motorsägen Unmengen an abgefallenen Ästen und etliche umgestürzte Bäume wegräumen musste. Der Sturm hatte an diesem Abend das geschafft, wozu ein ausdauernder starker Wind Jahre und Jahrzehnte gebraucht hätte. Auch das ist die Zeit – manchmal rast sie durch unser Leben und nimmt uns einfach mit.

Die großen Bäume reißt der Sturm aus, die kleinen biegt er.

Sprichwort

Alles ändert sich – auch unsere Insel

Wir haben erstaunlicherweise  dann doch immer noch menschenleere Stellen am Strand gefunden, um dann zu erleben, was es heißt, tatsächlich im Stockdunkeln eine Steilküste hochzuklettern, in der Hoffnung, dass das auch die Richtung ist, in der das Auto steht. 

Wir haben miterlebt, wie Jahr für Jahr die berühmten Kreidefelsen schrumpften und bröckelten. Nicht ungefährlich für die Menschen, die auf der anderen Seite nicht ganz unschuldig daran sind, dass solche Veränderungen jetzt ein wenig schneller vor sich gehen, auch ganz ohne Relativierung des „Erwachsenenblicks“.

Und wir haben uns auf der anderen Seite der Insel in den Wind gestellt, den Windsurfern zugesehen und Kunststücke mit dem Lenkdrachen vollführt. Zumindest meine Freundin, ich habe versucht, sie mit mehr oder weniger Erfolg nachzumachen. Aber wir haben genau dort die Insel auch wieder wachsen sehen, Sandanspülungen, die sinnvollerweise als Vogelschutzgebiete ausgewiesen wurden und so von touristischen Trampelpfaden verschont blieben. 

Veränderungen also überall, in uns und um uns herum. Veränderungen, die Altes verschwinden lassen und Neues hervorbringen. Aber auch Veränderungen, die uns Dinge, die wir so geliebt haben, unwiederbringlich wegnehmen, für immer. Es ist wichtig, auch das anzunehmen und es dem Lauf der Zeit nicht übel zu nehmen. So ist sie, die Zeit. Und so wird sie ewig bleiben.

Wieviel Inseln gibt es in Deutschland?

Auf der Suche nach der Antwort findet man keine eindeutige Zahl. Zumeist wird davon ausgegangen, dass es in Deutschland 77 Inseln gibt, wobei die vielen kleinen Fluss- und Binneninseln nicht mitgezählt werde. 51 von den Inseln findet man in der Nordsee (plus 10 Halligen) und 26 in der Ostsee. Die größten Inseln sind Rügen (mit einer Fläche von etwa 930 Quadratkilometern) und Usedom, die größte Nordseeinsel ist Sylt.

Uwe Funk

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