Wenn im Dezember die ersten Flocken fallen, ist die allgemeine Begeisterung groß. Endlich Schnee! Und er bringt die Hoffnung auf weiße Weihnachten mit sich, ein Wunsch, von dem zum Jahresende eigentlich jeder übermannt wird. Ganz gleich ob Jung oder Alt – die Vorstellung einer verzaubert weißen Kulisse vor dem Fenster während die Familie unterm Tannenbaum am Heiligabend zusammensitzt, lässt unser Herz höher schlagen.

Doch kaum sind die Feiertage vorbei und die gemütlichen Runden am Glühweinstand Geschichte, schlägt die Stimmung nur all zu schnell um. Aus dem filigranen Hoffnungsträger, der uns im Dezember noch so zu begeistern wusste, wird ein Ärgernis.

Winterfrust?

Statt uns weiterhin am verspielten Tanz der Flocken zu erfreuen, kommen uns vor allem die Folgen des weißen Treibens in den Sinn: Werden die Straßen geräumt sein, damit ich pünktlich auf Arbeit komme? Fahren Bus oder Zug, die bei winterlichen Temperaturen nur all zu oft Verspätung haben? Ich muss für meine Wege mehr Zeit einplanen, bevor es losgehen kann vielleicht selbst erst einmal den Weg oder das Auto von Eis befreien. Die Straßen sind glatt und wenn dann auch noch ein kräftiger Wind auffrischt, der einem die eisigen Flocken direkt ins Gesicht treibt, schlägt auch meine Stimmung gern mal um. Und nicht zu vergessen der ganze Schneematsch, der die Straßen säumt und gleichermaßen verstopft, wenn es zu tauen beginnt. Der Winter ist einfach nur kalt, grau und ungemütlich. Oder?

Wir tun uns so leicht damit, das Unangenehme am Schnee zu sehen, so dass wir für all seine Gaben blind sind. Dabei vermag es kaum eine andere Wetterlage so sehr, uns im Inneren zu berühren.

Schwerelos

Wenn die grauen Winterwolken ihre Schleusen öffnen und dicke weiße Flocken zur Erde schweben, scheint die Zeit eigentümlich still zu stehen. Fast schon hypnotisierend zieht ihr wirbelnder Tanz uns in seinen Bann. Den Kopf in den Nacken gelegt folgen wir ihrem unvorhersehbaren Weg, der sich mit dem kleinsten Windstoß so grundlegend ändern kann. Wie gern wären wir selbst eine von ihnen?

Dabei legen die kleinen Eiskristalle eine anmutige Eleganz an den Tag: Während Regen einfach nur nach unten fällt, geht es bei ihnen auf und ab, in wirbelnden Spiralen oder auf geradem Kurs ziehen sie übers Land. Mal kraftvoll vom Wind getrieben, mal so sanft wie eine Feder. Und ganz gleich, welches Temperament der Schnee an den Tag legt: Er hüllt die Welt in einen weißen Mantel und verleiht ihr eine innere Ruhe, wie kein anderer. Was auch immer uns gerade vorantreibt, ist für einen Moment bedeutungslos, wenn wir dabei zusehen, wie Mutter Natur ihre Schöpfung zu Bett bringt.

Wunderland

Wo vorher üppig grüne Wiesen, goldene Felder und herbstlich bunt gefärbte Bäume standen, glitzert nun ein weißes Wunderland, das uns mit seiner schlichten Eleganz innehalten und tief durchatmen lässt. Beruhigend, unschuldig, rein – Schnee und Eis lassen uns unsere Umgebung mit ganz anderen Augen wahrnehmen. Dabei offenbart ein winterlicher Spaziergang ihre ganze Virtuosität: Weiße Decken aus Pulverschnee, die sich jeder Form anpassen, filigrane Eiszapfen, die Bäumen und Sträuchern ganz neue Formen verleihen oder auch die spiegelglatte Oberfläche eines zugefrorenen Sees, die alles unter ihr verbirgt und uns alles über ihr in einem neuen Blickwinkel zeigt.

Dazu die vorsichtigen Spuren von Rehen, Füchsen oder auch Vögeln, die sich auf der Suche nach etwas Essbarem ihren Weg durch die eisige Schneedecke gebahnt haben. Ein besonderen Hingucker sind auch die roten Früchte von Hagebutte, Vogelbeere oder Schneeball-Pflanze, die, überzogen von einer zarten Hülle aus Eis und Schnee, anmutig farbliche Akzente setzen. Und wenn sich dann auch noch die Sonne ihren Weg durch die Wolkendecke bahnt und dieses weiße Wunderland mit ihrem warmen Licht zum Leuchten bringt, kann man eigentlich gar nicht anders, als tief in der Brust ein Gefühl von innerem Frieden zu spüren.

Zum Staunen gebracht

Die zarten Kristalle aus Eis helfen uns, uns wieder zu erden, das Tempo zu drosseln und uns zu besinnen. Sie wecken aber auch unsere Sehnsüchte und unsere Phantasie. Wie gern würden wir uns einer Schneeflocke gleich einfach vom Wind treiben lassen, ohne Eile, ohne Hast und ohne Ziel. Der Winter ist ein meisterhafter Künstler, der faszinierende Bilder an unsere Fensterscheiben malt.

An kaum einem anderen Ort kann man die filigrane Struktur des Schnees besser studieren, denn an das kühle Glas geschmiegt offenbaren sie ihre ganze Schönheit und Eleganz. Ein feines Netz aus purem Eis, ein jeder Kristall als Sechseck geformt und doch gleicht keiner dem anderen.

Bis zu 80 verschiedene Typen können entstehen, je nachdem unter welchen Bedingungen sie wachsen. Welch ein Spaß also, am Fenster nach möglichst vielen von ihnen zu suchen! Als Kinder haben wir uns die Nase an der Scheibe plattgedrückt und nach versteckten Figuren und Formen gefahndet, zugesehen, wie der Schnee schmolz, wenn wir die Hand nur lang genug gegen das Glas gedrückt haben und von phantastischen Abenteuern geträumt, die hinter der eisigen Fläche auf uns warten.

Kindliche Freude

Eigentlich sollten die Kleinsten unser Vorbild sein: Sie hadern nicht mit der grauen Kälte, sondern begegnen ihr voller Begeisterung. Ohne Scheu stecken sie die nackten Finger in den weichen Schnee. Machen sich keine Gedanken über nasse Hosen oder kalte Füße. Sie empfinden schon fast eine diebische Freude dabei, als erste durch die frische Schneedecke zu stapfen. Daran sollten wir denken, wenn der nächste Schnee vom Himmel tanzt. An das sanfte Knirschen unter unseren Füßen. Die winterliche Stille, in der man den Kopf so leicht frei bekommt. Die klare Luft in unserer Lunge. Die frostig schöne Landschaft, in der es so viel Verzaubertes zu entdecken gibt.

Und bald schon kommen neue Farben ins Spiel. Wenn sich die ersten Schneeglöckchen und Krokusse ihren Weg durch die eisige Schneedecke bahnen. Und wenn mit ihnen der Frühling Einzug erhält, ist es Zeit, dem Winter Adieu zu sagen. Bis zum nächsten Jahr!

 

Dieser Artikel stammt aus dem AUSZEIT-Magazin, das noch viele weitere tolle Themen für Euch bereithält.

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