Wenn bereits das Lesen der Überschrift etwas in dir bewegt und auslöst, solltest du dir die Möglichkeit geben, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen und deinem Herzen eine stärkere Stimme verleihen. Aber auch, wenn du so gar keine Regung spürst, kann das ein deutliches Zeichen sein, deine tiefen Emotionen und Wunden nicht fühlen zu wollen. Hören wir nun genauer hin, was in uns vorgeht und was losgelassen werden möchte. Lernen wir, zu vergeben.

Fangen wir beide doch gleich ganz persönlich und intim an. Schließlich geht es ja auch um das Herz, dessen Schlagen die ganze Vielfalt unserer Gefühle aufnimmt und ausdrückt. Das Herz, das brechen kann, bei Trauer und Verlust. Man kann ein großes Herz haben, wenn man als lieb und gütig gilt – oder wir lassen zu, dass es verkümmert und erkaltet. Es kann zu Herzklopfen oder gar Herzrasen kommen und manchmal verspüren wir einen Druck, einen Schmerz, der nicht aufzuhören scheint.

Viele verorten dort den Sitz ihrer Seele und ihrer Emotionen. Gerne möchte ich mit dir tiefer in deines schauen. Was lastet dort schwer und nimmt Platz ein, der für schöne Emotionen frei sein sollte? Wenn dein Herz vergeben und loslassen möchte, welcher Teil in dir hält noch fest?

Ein Blick in unser Herz

Um den Widerstand verstehen zu können, müssen wir einen Schritt zurücktreten, um das große Ganze sehen zu können. 

Schauen wir uns also ein Herzensthema an, welches viele von uns kennen dürften – den Liebeskummer. Eine für uns wichtige Person geht aus unserem Leben, ob gewollt oder ungewollt. Vielleicht hat der Ex Partner sogar etwas sehr Verletzendes getan und man ist wütend. Wir sind uns also einig, dass Traurigkeit, Enttäuschung, Verzweiflung oder Wut eine nachvollziehbare Gefühlspalette darstellen, die man als Trauender durchaus empfinden darf?! 

Und jetzt kommt der Knackpunkt: Wie steht es nämlich um deine Erlaubnis, derartige Gefühle em­pfinden zu dürfen? Sowohl heute als auch gestern?!

Ein anderes Beispiel: Ein unschönes Ereignis begegnet uns. Ob nun ein Unfall, Krankheit, Kündigung oder eben die Trennung eines einst geliebten Menschen. Gefühle steigen auf und preschen mitunter wie eine heftige Welle über uns herein. Man fühlt sich machtlos, ausgeliefert oder so tieftraurig, dass man befürchtet, nie wieder glücklich sein zu können. Und weil wir gerade so schön bei Wellen Metaphern sind, bediene ich mich einem Ratschlag zu richtigem Verhalten bei tückischen Strömungen:

Drohst du zu erschöpfen, dann leg dich auf den Rücken und lass dich mit Blick zum Ufer treiben.

Und genau darum geht es. Gefühle sind tückische Strömungen. Sie nahen heran, reißen uns wohlmöglich von den Füßen und können mitunter echt gefährlich werden. Gegenanschwimmen kostet unendlich viel Kraft, und je nach Art der Strömung scheint es kein Vorwärtskommen zu geben. 

Schwimmst du noch dagegen an? Weiß dein Herz vielleicht längst, dass du loslassen darfst und darauf vertrauen, dass sich die Strömung von allein beruhigt? 

Nur du, in diesem Fall der rationale Teil in dir, weiß es möglicherweise gar nicht, dass der große Schmerz längst von dannen gezogen ist. Du hast zu große Angst nachzusehen, denn das Gefühl von „einst“ möchtest du unter keinen Umständen erneut durchleben. Also schwimmst du weiter.

Signale

Mögliche Merkmale, dass etwas nicht verarbeitet wurde:

– Unruhe/Nervosität

– Immer wiederkehrende emotionale Reaktion auf bestimmte Situationen/Personen/Aussagen

– Häufig Bauch- oder Kopfschmerzen

– Akut auftretende Wut oder Traurigkeit

– Schlafstörungen

Eine Mauer ums Herz

Durch das Nicht-Hinschauen wollen häufen wir eine dicke Schutzschicht in uns an. Diese Schicht funktioniert allerdings in beide Richtungen. Sowohl nach außen als auch nach innen. Wir können Gefühle nicht angemessen zulassen oder aushalten. Manches erledigt sich möglicherweise in der Tat von selbst. Anderes bleibt mitunter ständig im Tiefen verborgen und krümmt und windet sich. Ob du nicht verarbeitete Themen, die längst losgelassen werden müssten, in dir trägst, kannst du an den aufgeführten Merkmalen abgleichen.

Stell dir eine emotionale Verletzung, wie eine Wunde auf der Haut vor. Du erlebst diese Verletzung und spürst Schmerz, Verzweiflung, Wut und vieles mehr. Das tut weh und vielleicht weißt du nicht so recht, wie du damit umgehen kannst. Hast es möglicherweise auch nie gelernt. Also wird ein dickes Pflaster in Form von Ablenkung oder Verdrängung draufgeklebt. Wenn das „Pflaster“ nicht ausreicht, kommt noch ein Verband drum. Und dann? 

Dann hat man vielleicht zu große Angst nachzusehen, ob die tiefe Wunde verheilt ist. Man erinnert sich an die schwere und schmerzhafte Verletzung, und das sitzt tief. So laufen viele von uns vollkommen einbandagiert durch die Welt. Und aus dem Pflaster wird eine Mauer.

Das Herz trägt unzählige Verletzungen, Enttäuschungen und Verluste in sich, die nie ausheilen durften. 

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Lerne, endlich loszulassen

Nehmen wir also Verband und Pflaster ab und schauen nach, wie es in deinem Herzen aussieht. Je eher du akzeptieren kannst, dass Gefühle kommen, aber auch wieder gehen, kannst du loslassen. Du lässt nicht einmal das Gefühl los, das ist nämlich sehr wahrscheinlich schon längst abgeebbt, sondern du lässt die Ablenkungsmanöver los. All jene, die du auffährst, um nicht fühlen zu müssen. 

Hast du einen Zugang zu deinem Herzen gefunden, kannst du nach und nach ausheilen. Vielleicht kommen hier alte Herzschmerzthemen, wie die lieblose Beziehung zu Mutter oder Vater oder die Erinnerung an Tod und Krankheit in dir hoch. 

In meiner Arbeit als Heilpraktikerin für Psychotherapie erlebe ich ständig, wie die Ängste vor dem, was in einem hochkommen könnte, so viel größer und gewichtiger sind als das, was da tatsächlich zu finden ist. Die Angst vor der Angst schränkt so viel mehr ein als das schlimmste Horrorszenario, was man sich ausmalen kann. So winden sich die Menschen über Jahrzehnte, anstatt hinzugucken, was da schlummert. 

Hast du vielleicht schon eine kleine Ahnung, was da in dir schlummern könnte? Woher aber kommt die Unfähigkeit oder die Angst, gewisse Gefühle zulassen zu können oder zu dürfen? Ein Beispiel: Wut über den Vater, der nie da ist, war als kleines Kind undenkbar. Man war auf seine Eltern angewiesen. Derartige Gefühle schadeten der Beziehung. Der Vater wurde idealisiert, und als logische Schlussfolgerung musste ja etwas an einem selbst nicht stimmen, sonst wäre der Vater ja öfter da. Das nahm man schließlich so an und vergrub den Schmerz darüber tief in sich. 

Loslassen

Lehne dich zurück und atme einige Male tief ein und aus und stelle dir die Frage: Was darf heute losgelassen werden? Versuche nicht gedanklich ein Bild zu bekommen, sondern achte auf die leisen Töne deines Herzens. Vielleicht schreibst du auf, was dir erscheint. Menschen, Situationen, Taten oder alte Glaubenssätze.

Loslassen heißt vergeben lernen

Viel später wüsste man es eigentlich besser, aber diese einmal tief abgelegten Gefühle bleiben und man braucht sie ja jetzt auch nicht mehr „rauskramen“, vorausgesetzt man weiß überhaupt, dass sie existieren. Aber genau diese alten Gefühle sind es, die unser Herz endlich loslassen möchte.

Ich gebe zu, loslassen und vergeben sind keine Leichtigkeiten. Einen Weg zu finden, es trotzdem zu tun, lohnt sich aber ungemein. Mach doch deine ganz eigene kleine Challenge draus. Werde zum eigenen Detektiv deiner Herzensthemen. Verschaffe dir einen ersten, groben Überblick. Dann schaust du, welche Gefühle zu Grunde liegen. Mache dir zum Ziel, den „Fall“ aufzuklären und abzuschließen. Hast du schließlich Platz geschaffen, wirst du dich leichter und unbeschwerter fühlen. Du weißt dann zukünftig, wie man mit einem unangenehmen Gefühl umgehen kann, wie man es zulässt und annimmt, anstatt es tief in sich zu vergraben.

Und zum Schluss

Das Herz ist nicht schwer, weil andere Menschen oder Umstände einem etwas angetan haben, sondern weil man nicht in der Lage ist oder war, mit eigenen aufkommenden Emotionen liebevoll umzugehen. Also liegt es an uns, und es gibt einen Weg, den wir selber einschlagen können, um in unserem Herzen Platz zu schaffen. Platz für leichte, schöne Dinge, Platz für wunderbare Träume und tiefe Liebe …

Übung: Was hat dich in deinem Leben emotional einschneidend geprägt?

Trau dich nachzusehen und schreibe es auf. Solltest du tiefe, sehr traumatische Erlebnisse mit dir tragen, überlege dir, ob du dir für die Aufdeckung“, Unterstützung bei Freunden, Familie oder auch bei Arzt/Therapeut/Heilpraktiker suchst. 

Stell dir folgende Fragen, um deine Herzthemen erkennen zu können:

Wer oder Was hat mich so richtig tief verletzt in meinem Leben?

Welches Erlebnis habe ich bis heute nicht verarbeitet?

Welche Erinnerung möchte ich am liebsten für immer löschen?

Du merkst schon, die Fragen gehen ans Eingemachte und können mitunter ganz schön aufwühlen. Konzentriere dich bitte fürs Erste auf die recht nüchterne Beantwortung und gehe die Fragen durch. Achte im zweiten Schritt ganz genau auf deine Gefühle. Was zeigt sich? Wut, Trauer, Scham, Schuld? Gib diesen Gefühlen den Raum, den sie brauchen. Wenn du weinen musst, dann weine. Bist du wütend, dann darf auch das sein. Sei liebevoll zu dir und den aufkommenden Gefühlen. Sie werden gesehen und ebben dann schließlich ab. Sich derartige Gefühle nicht zu erlauben oder dauerhaft zu unterdrücken, ist die Ursache allen Übels. Das kostet Kraft und frustriert auf Dauer, weil man spürt, dass man gegen sich arbeitet. 

Also: Emotionales Pflaster ab, hingucken, Gefühl kommen lassen und liebevoll mit sich selbst umgehen!

Daniela Werner

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