Welche die schönste Jahreszeit ist, auf diese Frage ändert sich die Antwort im Laufe des Lebens eines Menschen. Als Kind, wenn die große Rutschbahn im Freibad im Vordergrund steht, ist der Favorit sicher der Sommer, wer als Erwachsener dann gern Skiurlaub macht, kann den Winter gar nicht erwarten, und wenn man dann in die Jahre kommt, dann versprüht eher der Spätsommer, jene warmen, milden, sonnigen Tage, die auch gern als Altweibersommer bezeichnet werden, einen ganz besonderen Charme.

Was den besonderen Reiz dieser Tage vielleicht ausmacht, das sind die krassen Gegensätze der Gefühle, die hier so eng beieinanderliegen. Ich denke, man kann das vergleichen mit einem Land wie Georgien, wo das Meer und das Hochgebirge und alle landschaftlichen und klimatischen Zwischenzonen auf engstem Raume direkt aneinander prallen. Und so verhält es sich auch mit den Herbsttagen in Mitteleuropa. Kurz sind die Tage nun schon geworden, und in der langen Dunkelheit können die Nächte bis zum Gefrierpunkt auskühlen. In der Folge beobachten wir die langsam wabernden, manchmal durchaus dichten Abend- und Morgennebel, die von den schräg stehenden Sonnenstrahlen gerade noch durchdrungen und ganz langsam erwärmt und aufgelöst werden. Der Tag ist hell, windstill, sonnig und milde warm, quasi ein Klima wie im Wohnzimmer, kaum zu glauben, dass unser Wetter auch ganz anders kann. Diese Tage machen mich einfach glücklich, denn dieses Wetter ist für mich wie eine Sinfonie von Geigen, die immerzu eine süßlich-liebliche Melodie spielen, die mir einfach nicht aus dem Ohr gehen will. Ich sehe die Menschen spazieren gehen, manche haben einen verspielten Hund dabei, unter der alten Linde fällt mir ein Liebespaar auf, das noch sein ganzes Leben vor sich hat, und auch manches ältere Paar geht Hand in Hand liebevoll seinen angestammten Weg entlang. Es sind leise und ruhige Tage, und auf Arbeit mache ich bewusst früher Schluss in dem Wissen, dass die Sonne nun schnell untergehen wird.

„Es gibt keine Hoffnung mehr auf schöne, helle Tage.“

Denn schon der nächste Tag bringt Ungemach. Ein riesiges Tiefdruckgebiet mit Kern über der Krim schaufelt unaufhörlich dicke, graue Wolken aus Finnland herein, die Temperatur stürzt um 15 Grad herunter, und Wind und Regen lassen mich erschaudern, mein Regenschirm knickt um, und eine heftige Böe reißt ihn mir aus der geschwächten Hand. Kalter Regen peitscht mir nun fast waagerecht und sehr schmerzhaft ins Gesicht. Da ist er schon, der tiefe Herbst, der böse Gegensatz zum gestrigen Tag, den ich vielleicht nicht genug ausgekostet habe. Und noch etwas anderes wird mir jetzt klar: Der Winter naht. Es gibt keine Hoffnung mehr auf schöne, helle Tage, auf wärmende Sonnenstrahlen, die meine Haut zärtlich streicheln. Immer nur noch mehr Dunkelheit und Kälte, Einsamkeit in der abgeschlossenen Wohnung. Am Schlimmsten ist der November mit seinen Stürmen und seiner ständigen Dunkelheit. Es heißt, in diesem Monat sterben die Menschen wie die Fliegen. Glaubhaft ist das schon, aber ich weiß, es stimmt nicht. Erst nach dem Winter, wenn das Frühjahr erwacht, sind viele alte oder kranke Menschen von der Kälte, von fehlenden Vitaminen und von fehlender Sonne so ausgemergelt, dass ihr Abwehrsystem zusammenbricht, und der Tod mit seiner Sense leichtes Spiel hat.

Bis zur Weihnachtszeit komme ich dennoch meistens einigermaßen klar. Die Innenstädte sind nun beleuchtet, es gibt Weihnachtsmärkte, Glühwein, Orgelkonzerte in den Kirchen, die Schaufenster sind hell und festlich und liebevoll dekoriert, so viele Menschen sind geschäftig auf den Straßen unterwegs. Auch diese Zeit hat ihren Reiz. Aber was danach kommt, ist ja nicht auszuhalten. Es beginnt mit dem Dreck am Morgen nach Silvester. Richtig kalt ist es nun geworden. Räumfahrzeuge haben schmutzige Schneeberge auf den Gehwegen aufgetürmt, kaum kann ich irgendwo die eisglatte Straße überqueren. Und ich weiß, dieser Zustand wird nun so bis April anhalten, danach kommt dann Regen und kalter Wind, bis die ersten milden Tage bei aller Klimaerwärmung mit viel Glück Ende Mai zu erwarten sind. Das macht mich richtig wütend.

Aber ich habe für mich eine Lösung gefunden, mein Leben zu bereichern, indem ich Ende Januar einfach dem Altweibersommer entgegen fliege. Diese konsequente Unterbrechung des elenden, hoffnungslosen deutschen Winters gibt mir Kraft und Hoffnung, lässt mich den Spätherbst gut ertragen, weil ich ab November mit jedem einzelnen Tag meinem wohl verdienten Urlaub immer näherkomme…

Wie fühlt ihr Euch im Herbst? Schreibt mir einen Kommentar oder schickt mir Post! DANKE.

Bildquellen: Stefan Goedecke