Eigentlich ist ja jeder Tag eine Premiere, zumindest könnte er es sein, wenn ich mich darauf einließe, täglich all das Neue zu entdecken, was ansonsten am Wegesrand der Routinen unbeachtet an mir vorbeirauscht. Routinen haben wir ja alle mehr oder weniger lieb gewonnen. Sie bieten uns Sicherheit, schützen uns vor Umwegen und unvorhersehbaren Situationen und helfen uns, alles schneller, effizienter und vor allem „richtig“ zu machen.

Aber irgendwie bringen sie uns auch um das bewusste Erleben des Moments und um die kindliche Entdeckerfreude am Leben. Wie viel Routine, wie viel „richtig“ ist denn überhaupt gesund, frage ich mich? Vielleicht merkt jemand in einem wachen Moment plötzlich, dass er oder sie sich vor lauter Routine gar nicht mehr als schöpferisches, lebendiges Wesen wahrnimmt, sondern innerlich erschöpft im Hamsterrad Runden um Runden dreht und mit dem „Richtigmachen“ beschäftigt ist, obwohl „es“ sich schon seit Ewigkeiten gar nicht mehr „richtig“ anfühlt. Und das alles nur, weil die Angst vor dem eigenen oder dem Urteil anderer über ein mögliches Scheitern größer ist als das Vertrauen in die innere Kraft und Führung.

Das wird in unserer durchstrukturierten und nach Effizienz lechzenden Gesellschaft dann lobend ein „geregeltes“ Leben genannt. Aber kann man ein solches Leben als „erfolgreich“ bezeichnen, ist diese scheinbare Sicherheit erstrebenswert? Macht Effizienz glücklich.

Ich habe in jungen Jahren mal einen recht bekannten Maler kennengelernt, der mit seinen knapp 80 Jahren noch quicklebendig vor Lebensfreude strahlte. Er erzählte mir, dass er seine Leidenschaft für das Malen erst mit 65 für sich entdeckt habe, davor sei er in der Welt herumgereist, habe in mehreren Berufen gearbeitet und unter anderem eine Bar in der Karibik geführt.

Mir war, als erzählte er aus verschiedenen Leben. Er wirkte dabei aber nicht wie ein Suchender oder mehrfach Gescheiterter, sondern wie jemand, der einfach den inneren Impulsen und äußeren Zeichen mit aller Konsequenz folgte und dabei einen unglaublichen Erfahrungsschatz gesammelt hat. Er hat mit ganzem Herzen das gelebt, was im jeweiligen Abschnitt seines Lebens für ihn stimmig schien und ihn mit Freude erfüllte. Und wenn es nicht mehr stimmig war, ist er dem Ruf in ein neues Abenteuer gefolgt. Seine Augen leuchteten bei jeder seiner Episoden und ich hätte ihm ewig zuhören können. „Was für ein reiches Leben“, dachte ich mir.

Er hat mir damals einen wichtigen Impuls gegeben, dem Leben zu vertrauen und den manchmal drängenden Fragen, was in der Zukunft sein könnte, weniger Gewicht zu geben. Seine Geschichte hat mir Mut gemacht, meinem eigenen Weg zu folgen und mich immer wieder darauf auszurichten, was JETZT grad dran ist, und das loszulassen, was mich daran hindert.

Routinen bergen die Gefahr, dass man die Freude am Tun verliert und in einem schleichenden Prozess zu einem Sklaven fixer Vorstellungen, Ansprüche und Ängste degeneriert. Ich übe mich also darin, bewusst wahrzunehmen, was zu freudloser Routine verkommen ist, offen und durchlässig zu bleiben für das, was mir Freude bereitet und darauf zu vertrauen, dass eine neue Tür aufgeht, wenn ich eine alte hinter mir geschlossen habe. Denn in jedem einzelnen Moment liegt das Potenzial für ein erfülltes Leben.

Bildquellen: Ronny Labotzke