„Denk positiv“ – „lächle (aber bitte authentisch!)“ – „schau optimistisch in die Zukunft“ – „achte auf deine Gedanken!“ Manchmal kann ich es nicht mehr hören! Positiv Denken ist zum Zwang geworden, gehört zu einem erfolgreichen Menschen mit einem glücklichen Leben dazu. Wirklich? Nach dem Motto: Fake it, until you make it?

Es geht mir nicht darum, positives Denken schlecht, sondern menschlich zu machen. Aufwand und Ertrag stimmen für mich beim positiven Denken nicht überein. Wenn ich stinkwütend bin kostet es mich eine Unmenge an Energie, meine Gedanken auf positiv zu schalten und es ist zudem selten von Erfolg gekrönt. Wenn wir ein fernöstliches Land besuchen, das auch „Land des Lächelns“ genannt wird, ist uns das Dauergegrinse oft suspekt. Weshalb sollen wir das also praktizieren, obwohl es nicht einmal zu unserer Kultur gehört?

Der blaue Elefant

Mit den ungewollten Gefühlen und negativen Gedanken ist es wie mit dem blauen Elefanten. Wenn dir einer sagt: „Denke NICHT an einen blauen Elefanten“, woran denkst du dann ganz bestimmt? Genau. Was, wenn deine Gedanken – ob positiv oder negativ – einfach eine interessante Ansicht sind? Alles, was wir denken, wahrnehmen, fühlen ist letztendlich eine Ansicht, die wir über uns und unsere Realität haben. Wenn ich also vom Standpunkt aus lebe, dass alles eine interessante Ansicht ist, nehme ich meinen Gedanken nicht nur die Wertung, sondern öffne mich auch für andere Möglichkeiten. Zum Beispiel dafür, einen neuen Gedanken, respektive eine neue Ansicht zu wählen, mit der ich mich besser fühle.

Weil alles einen Sinn hat

Ich glaube fest daran, dass alles, was wir im Leben erfahren, zu irgendetwas nützlich ist. Es zeigt uns etwas, möchte uns etwas lehren oder uns auf eine gewisse Art stärken. Manchmal erkennen wir den Nutzen von etwas erst viel später oder sogar nie – und das ist in Ordnung. Für mich ist wichtig, dass es auf einer höheren Ebene einen Sinn ergibt, ob ich diesen in meiner Menschlichkeit erfassen kann oder nicht. Und die Menschlichkeit ist dabei der springende Punkt. Nur weil ich weiss, dass meine Erfahrung irgendeinen Nutzen hat, muss ich sie nicht freudestrahlend hinnehmen. Ich darf Mensch sein, die ganze Gefühlspalette zulassen und einem unangenehmen Gefühl auch mal Raum und Aufmerksamkeit geben. Dadurch erkenne ich möglicherweise seinen Sinn oder bemerke lediglich dadurch, dass ich es nicht länger verdränge, wie es verblasst.

Zeit für Nörgelei – aber begrenzt

Manchmal kann es tatsächlich helfen, die Mundwinkel nach oben zu ziehen und die Wirkung des „falschen“ Lächelns wahrzunehmen. Denn nur weil ich finde, dass alle Gefühle ihren Platz haben und gelebt werden dürfen, ist dies in meinen Augen nicht der Freifahrtschein für Miesepetrigkeit und Nörgelei. Die meisten von uns sind tolle Nörgler (ich inklusive). Und zwischendurch herzhaft nörgeln ist entspannend. Doch wie wäre es, wenn wir die Nörgelei beschränken? Wenn du dich beim nächsten Mal mit einer Freundin triffst, dann probiert einmal die „5-Minuten-Nörgelei“. Jeder hat 5 Minuten, um sich alles vom Herzen zu reden, zu schimpfen und zu motzen – und dann ist Schluss und ihr sprecht über etwas anderes.

Wichtig erscheint mir, dass wir nicht zur Dramaqueen werden und unser Leben einer vorabendlichen Tele Novela gleicht. Dramen machen unser Leben weder leichter, noch bringen sie uns weiter. Wenn du bemerkst, dass du dich in einer Abwärtsspirale befindest oder nicht mehr aus dem Selbstmitleid herauskommst, stehst du meistens mitten auf deiner eigenen Bühne und inszenierst voller Inbrunst dein eigenes Drama. Ich weiss, wovon ich spreche, ich habe das Drama viele Jahre ausgiebig zelebriert. Die beste Oper hätte mir nicht das Wasser reichen können 😉 Bis ich den Nutzen des Dramas erkannt habe: Mein Leben war dadurch spannend.

Verlass die Bühne des Dramas

Keiner hat gesagt, dass sich dieser Nutzen besonders positiv auf mein Leben auswirkt. Denn die Dramen waren auch ganz schön anstrengend. Also habe ich aufgehört, in die Rolle der Schauspielerin zu schlüpfen. Es ist meine Entscheidung, wie ich mein Leben gestalte und ob ich im Dauerdrama lebe oder die Oper für weitere Vorstellungen schliesse. Denn Abenteuer gibt es im Leben genügend, auch ohne zuerst ein Drama zu inszenieren.

Mir hilft es, mich zu beobachten, wenn ich drauf und dran bin, mal wieder eine Arie zu schmettern. Bevor ich die Bühne betrete, atme ich tief durch und komme ganz bei mir an. Ganz präsent sein im Körper und gleichzeitig ein Drama inszenieren ist nicht möglich. Es lohnt sich daher, die Aufmerksamkeit auf den Atem zu lenken, ein paar Mal bewusst ein- und auszuatmen und dem Drama keine Beachtung zu schenken. Wenn ich nicht in die Rolle schlüpfe, findet keine Oper statt.

Schlussendlich ist der springende Punkt beim positiven Denken, wie du dich innerlich fühlst, wie dein Blick auf die Welt ist und nicht, welches Gesicht du der Welt als Maske präsentierst. Wenn du innerlich lächelst, bist du äusserlich frei zu zeigen, was du möchtest.

Von Herz zu Herz

Nadine

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