Morgens sind wir nicht wir selbst. Zerstrubbelte Haare, zerknittertes Gesicht, Hemd falsch geknöpft, Zahnpasta an der Nase. Und auch innerlich recht unstrukturiert. Der Geist hängt noch dem Schlaf nach, während der Körper durch die Wohnung irrt. Doch das geht auch anders.

Ich sitze mit gekreuzten Beinen in einer Höhle im flachen Wasser. Es ist warm, Lichter spielen an der Decke. Umflirrt bin ich von kleinen Wesen mit durchsichtigen Flügeln. Traumhaft! Doch, was sagen die Wesen? Sie schreien! Ein ziemlich fieses Geräusch. Ich wedle mit der Hand. Angenehme Stille. Wollen wir doch mal sehen, wer starrköpfiger ist. Plötzlich stürzt die Decke der Höhle ein – der Untergang? Nein, der Wecker.

Jetzt aber Fersengeld. Gewohnheitsgemäß habe ich im Halbschlaf die Snooze-Funktion ausgereizt. Mit welchem Bein stehe ich doch gleich auf? Na, wird schon passen. Jetzt bleibt nicht viel Zeit. Klamotten aus dem Schrank wühlen, mit Zahnbürste im Mund ein Brötchen schmieren, die Hand am Teewasser verbrühen, Rucksack auf den Balkon, Katze auf den Rücken. Moment, hier stimmt was nicht. Ach ja, Schuhe. Zwei gleiche, wenn’s geht. Wo ist die Straßenbahn? Egal, das Portemonnaie habe ich sowieso liegen lassen… Da haben sich die paar Minuten extra Schlaf ja
richtig gelohnt!

Wie man sich bettet …

Wer richtig wach sein will, muss richtig schlafen. Dabei ist „richtig“ in diesem Fall ein sehr dehnbarer Begriff. Der Schlaf des Menschen ist so ungenormt wie das Individuum, das ihn gerade nötig hat. Jeder schläft auf seine Weise und es bedarf Aufmerksamkeit und Zeit, den eigenen Rhythmus zu finden.

Das Aufstehen beginnt mit dem Zubettgehen. Den ganzen Tag über sammeln wir Eindrücke, unterliegen wir Druck und Stimmungen. Wir denken in die Zukunft, wir streben und planen, wir häufen Gefühle an. Nicht selten ist unser Körper dafür ein zu kleines Gefäß und abends im Bett, wenn es still und dunkel ist, kommen Echos mit großer Wucht über uns hereingebrochen. Die Aufregung vor dem nächsten Tag packt zu und die Uhr tickt dazu den Countdown. Unsere Vernunft und unser Verstand haben beschlossen, dass jetzt Zeit für Erholung ist – aber unser Körper scheint das partout nicht befolgen zu wollen.

Damit, den Schlaf einzuleiten, beginnt man am besten schon, bevor man die Bettdecke unters Kinn zieht und die Augen schließt. Wir sind es gewohnt, dass Dinge um uns herum wackeln, sprechen oder zumindest Geräusche von sich geben. Die Stille der Nacht kann schnell erdrückend wirken – jedoch nur, weil sie ungewohnt ist. Gibt man dem Geist genügend Leerlauf, können sich die Gedanken beruhigen.

Bei einem Spaziergang vor dem Zubettgehen können wir Nachtluft tanken, dem Zwitschern der Vögel, dem Zirpen der Grillen lauschen und unsere Gedanken auf Nachtwanderung schicken. Das funktioniert auch in der Stadt, schließlich hat die Nacht auch hier ihr Inventar. Es herrscht weniger Verkehr, hinter den Fenstern brennt Licht und der Blick in Bars hat sogar etwas von der Melancholie Edward Hoppers. Wer sich allerdings lieber einmummelt, kann es mit Naturgeräuschen wie Wald, Gewitter oder Regen versuchen.

Das blaue Licht eines Bildschirms regt die Augen an, denn es simuliert das bläuliche Licht des Morgens. Wer es auf Schlaf abgesehen hat, sollte PC und Telefon also frühmöglich abschalten oder zumindest dimmen. Die Nase in ein Buch zu stecken, ist wohl der sicherste Weg. Das macht angenehm matt und gibt non-piktoralen Input. Oder man reflekiert Tag, Taten und Gedanken in einem Tagebuch. So zeichnet man die wichtigsten Ereignisse auf, wertet sie – und schließt damit eine Schublade.

… so liegt man

Diese Beschäftigungen bieten sich überdies auch für nachtwache Stunden an. Entgegen der Annahme, ein guter Nachtschlaf müsse durchgängig sein, werden viele Schläfer in der Nacht wach. Das kann sogar mehrmals pro Stunde passieren. Wie der Historiker Roger Ekirch erforscht hat, war vor der Erfindung der Glühbirne der Schlaf in zwei jeweils vierstündige Phasen unterteilt. Die Stunde dazwischen wurde für ruhige Beschäftigungen wie lesen, schreiben, beten oder Unterhaltungen genutzt. Diese Erkenntnis kann dazu beitragen, mit weniger Druck an das Einschlafen zu gehen. Unser Schlaf muss nicht unerholsam sein, nur weil er kürzer oder mit Unterbrechungen ausfällt. Bewerten wir doch den Schlaf einmal nach Qualität, anstatt nach Quantität!

Eine bewusstere Einstellung zum Schlaf kann ihn zu unserem Verbündeten machen. Es gilt, sich dem Schlaf zu ergeben, ihn willkommen zu heißen und, wenn nötig, geduldig auf ihn zu warten, anstatt ihn herbeizuzerren oder zu fürchten, er komme nicht. Schlaf ist ein sehr intimes, tiefgreifendes Erlebnis. Begehen wir es genussvoll mit kleinen Ritualen und Vorfreude, oder fühlen wir uns unter Druck gesetzt wie bei einer leidigen Verpflichtung?

Das Morgen-Grauen

Schlafen und Träumen können aufregende, aufreibende Erlebnisse sein. Sie legen den Grundstein für das Gefühl, mit dem wir erwachen. Schlaf gleicht einer Reise, die wir mit unserer Seele unternehmen und wir sollten uns bei der Rückkehr Zeit lassen. Die Snooze-Funktion auszureizen bringt zwar mehr Schlafminuten, macht jedoch nicht zwangsläufig munterer. Dann lieber mutig aufstehen und sich „langsam ausdröseln“ lassen. Wachen wir schon vor dem Weckerklingeln auf, sollten wir diesen natürlichen Rhythmus nutzen, anstatt uns noch einmal umzudrehen. Meist ist man dann nur noch zerschlagener. Das hat mit den Schlafphasen zu tun. Möglicherweise sind wir beim Weckersignal schon wieder auf Tauchgang in den Tiefschlaf.

Am Morgen ist jeder Strohhalm wichtig. Gegen das Morgen-Grauen hilft, sich schon kurz nach dem Aufstehen etwas zu gönnen, und erscheint es noch so banal. Lieblingsmusik dudeln lassen, das Frühstück aufpeppen, sich auf den nächsten Spruch auf dem Abreißkalender freuen, Postkarten lesen. Der direkte Start in den Tag mit Eile, Mail-Check und Telefonaten könnte eine etwas unsanfte Landung bedeuten. Ein schönes Event am Morgen ist eine ausgiebige Dusche. Die Glieder sanft dehnen und strecken macht ungemein wach. Trockenrubbeln mit dem Handtuch regt die Durchblutung an.

Der Schlaf ist nicht einfach eine kurze Unterbrechung des Wachseins, an das man nahtlos anknüpfen kann. Durch uns sind Bilder und Gefühle gewandert, die sich morgens erst setzen müssen. Das zeigt unser Äußeres ganz gut: manchmal hat uns die Nacht ziemlich mitgenommen. Aber das muss nicht schlecht sein. Gehen wir nur rücksichtsvoller mit uns um. Der koordinierte Start in den Tag lässt sich erleichtern, indem gewisse Dinge schon abends vorbereitet werden. Nötige Unterlagen packen, Kleidung zurechtlegen, den Schlüssel an einem gut sichtbaren Platz deponieren, Geldbörse, Tickets, wichtige Briefe obenauf tun. An kühlen Tagen ist es angenehmer, vor dem Bettgang ausgiebig zu lüften und dann im Warmen aufzustehen. Das verhindert den Gänsehaut-Grusel. Ein Profi-Tipp ist die Zeitschaltuhr für die Kaffeemaschine. Richtig programmiert, duftet es kurz vor dem Aufstehen schon nach Koffein. Oder wie wäre es damit, sich selbst zum Morgen zu begrüßen? Zum Beispiel mit einem Spruch am Spiegel.

Ein wichtiges Detail ist der Weckton. Werden wir von Rasseln, hämmerndem Piepen oder den Nachrichten aus dem Schlaf gerissen, muss das der Laune nicht zuträglich sein. Licht-Wecker holen uns sanft aus dem Schlaf, sich in der Lautstärke steigernde Melodien sorgen für ein langsames Erwachen. So bleiben Träume auch in besserer Erinnerung. Kurz vor dem Einschlafen, dem Aufwachen und in traumintensiven Phasen des leichten Schlafes gehen in unserem Kopf Feuerwerke der Bilder vor sich. Wir träumen im Halbschlaf. Es kommt nicht selten vor, dass sich während dieser Phase plötzlich Lösungen für langwierige Probleme ergeben, uns geniale Ideen ereilen oder lang verschüttet geglaubte Erinnerungen besuchen. Egal, wie wir unsere Träume bewerten: Ein entspanntes Erwachen ermöglicht uns, ihnen noch etwas nachzuhängen.

 

Dieser Artikel stammt aus dem AUSZEIT-Magazin, das noch viele weitere tolle Themen für Euch bereithält.

 

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Bildquellen: Photo by Paul on Unsplash