Wer bin ich?

Denn mit einer ehrlichen Antwort würden wir riskieren, uns angreifbar zu machen. Sich selbst und anderen einzugestehen, dass es Probleme gibt, wird nur allzu oft als Schwäche angesehen, als persönliches Versagen, das auf Ablehnung oder Unverständnis stoßen kann. Und diese Reaktion fürchten wir. Dabei ist es völlig natürlich, dass im Leben nicht immer alles rund läuft. Doch es gibt nur wenige Menschen, denen wir das auch offen sagen. Denen wir eingestehen, dass wir manche Dinge nicht im Griff haben, dass wir Sorgen haben und Ängste. Der engsten Familie, Vertrauten, Freunden. Ihnen öffnen wir uns, suchen Rat, ein offenes Ohr und so manches Mal auch Trost. Für den Rest der Welt wahren wir den Schein. Wir verstecken uns, um unerkannt zu bleiben. Wir setzen eine nicht selten über Jahre perfektionierte Maske auf, die uns so zeigt, wie wir gern von Anderen wahrgenommen werden wollen. Wer wir wirklich sind, bleibt im Verborgenen.

Das gilt gleichermaßen für positive Gefühle und Wesenszüge. Auch sie zeigen wir nicht jedem. Erwachsen, seriös, kommunikativ – so wollen wir auf unsere Umwelt wirken. Als Erwachsener vergnügt mit einem Luftballon am Arm durch die Straßen ziehen? Auf der Firmenfeier lautstark und voller Elan den Lieblingssong beim Karaoke zum Besten geben? Vielleicht sogar mit vollem Körpereinsatz? Obwohl wir immer mehr dazu übergehen, unseren Weg ganz individuell zu beschreiten, wäre so etwas für die meisten Menschen undenkbar – auch wenn sie großen Spaß dabei hätten. Was sollen die Kollegen denken? Oder die Leute auf der Straße? „Da mache ich mich doch lächerlich“, mag der erste Gedanke sein, der einem in den Sinn kommt. Statt das eigene Ich auszuleben, üben wir uns lieber in vornehmer Zurückhaltung. Wir wahren wieder den Schein.

Rote Lippen

Mit seiner grellen Erscheinung gehört der Clown für uns typischerweise zum Zirkus, in eine glitzernde und schillernde Welt, die mit unserem Alltag so gut wie nichts zu tun hat. Dabei hat gut die Hälfte der Menschheit mehr mit dem weißgesichtigen Faxenmacher gemein, als sie wahrhaben will.

So wie sich der Clown mit dicker Farbe täglich ein neues Gesicht aufsetzt, tun es auch viele Frauen – wenn auch nicht ganz so extravagant. Die Augen schwarz umrundet für einen intensiveren Blick, Rouge auf die Wangen für einen gesunden Teint und ein wenig rote Farbe für sinnliche Lippen. Auch das tägliche Make-Up ist nichts anderes als eine Maskierung.Wir fühlen uns besser mit ihr. Schöner, selbstsicherer, stärker. Mögliche Makel werden einfach ausgeblendet. Sowohl optisch als auch mental. Dennoch, auch wenn wir unser Aussehen mit ein wenig Farbe verändern, die eigenen Vorzüge mehr zur Geltung bringen, der Mensch darunter bleibt am Ende doch derselbe. Die Scharade mag sich auf Äußerlichkeiten beziehen, Auswirkungen hat sie aber vor allem auf unser Inneres.

Durch die Zeit

Die Zeit der antiken Theatermasken ist vorbei. Sie haben heute einen neuen Platz in Museen gefunden, zeugen hinter Glas von einer vergangenen Epoche, die mit ihrer schlichten Eleganz in starkem Kontrast zu den Werken moderner Maskenbildner steht. Gänzlich in Vergessenheit geraten sind sie aber nicht. Ein Relikt jener Tage hat sich bis heute in unserer Kultur gehalten: Die halb lachende, halb weinende Maske – in der Antike Sinnbild der tragischen Komödie – zeigt uns noch heute beispielsweise in Reiseführern, wo wir die darstellenden Künste finden können. Und mit ihnen vielleicht auch die ein oder andere Maske.

Dieser Artikel stammt aus dem AUSZEIT-Magazin, das noch viele weitere tolle Themen für Euch bereithält.

 

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Bildquellen: Photo by Rhett Wesley on Unsplash