Die Autorin Peggy O’Mara sagte einmal „The way we talk to our children becomes their inner voice.“. Übersetzt heißt das so viel wie: Die Art und Weise, wie wir mit unseren Kindern reden, wird zu ihrer inneren Stimme. Dein innerer Kritiker ist diese Stimme, die du häufig wahrnimmst, ohne genau ihren Ursprung benennen zu können.

Im Grunde genommen, redet nicht nur eine Stimme auf dich ein und es sitzen auch nicht Engelchen und Teufelchen auf deinen Schultern. Vielmehr handelt es sich um den Nachhall der Menschen, die dich maßgeblich beeinflusst haben. Allen voran wären da die Eltern zu nennen, aber auch Großeltern, Geschwister, Lehrer, Vorbilder und sogar jene, die du eigentlich überhaupt nicht mochtest. Dennoch haben sich ihre Worte während deiner Kindheit in dich eingebrannt. 

So entsteht dein innerer Kritiker

Erwachsene haben die Aufgabe, ihren Nachwuchs auf das Leben vorzubereiten und, so gut es eben geht, zu schützen. Aus Sorge und Weitsicht predigen sie dir von Anfang an, wie du dich benehmen sollst, was du nicht darfst und was du musst. Hast du dich einmal nicht daran gehalten, wurdest du vielleicht „bestraft“, zumindest aber sicher kritisiert mit der Absicht, dass es künftig besser funktionieren soll. 

Nun „funktionieren“ Kinder aber nun mal nicht, schon gar nicht den Vorstellungen der Erwachsenenwelt entsprechend. Jeder erhobene Zeigefinger, jeder tadelnde Blick oder Nichtbeachtung als Strafe galt dem angeblich falschen Denken und Handeln. Als Kind aber kennt man nur eine begrenzte Sichtweise. Man denkt nicht an später, an mögliche Konsequenzen. Auch hat sich die Empathie noch nicht entwickelt, so dass Kinder nicht einmal merken, wenn sie jemanden verletzen oder beleidigen. 

Um die Ablehnung der Eltern zu vermeiden, nehmen sich Kinder viele der Gebote, Verbote und Kritiken an. Der Wunsch nach Liebe und Anerkennung ist so stark, dass die unterschiedlichsten Lehren aus der Erziehung verinnerlicht werden. Zum Teil entsteht in einem Kind durch Bestrafung und Kritik das Gefühl der Unzulänglichkeit. Andere Eltern verbieten ihren Kindern vieles und so bekommen diese den Eindruck klein und schwach zu sein. Um sie zu schützen, impfen die Erwachsenen den inneren Kritiker regelrecht ein. 

Welchen Sinn hat ein innerer Kritiker?

Nicht nur als Kinder werden wir erzogen. Selbst Erwachsene müssen sich immer wieder sagen lassen, was das vermeintlich Beste für sie wäre und wie sie sich zu verhalten haben. „Hier links abbiegen.“, „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“, „Software-Update ist erforderlich.“, und so weiter. Überall Hinweise, gut gemeinte Ratschläge, Vorschriften und Verbote. 

Doch Erwachsene sollten eigentlich genug Selbstbewusstsein besitzen, um zu wissen, wann welche Vorschrift bzw. Kritik angebracht ist und wann man mal eine Ausnahme machen kann. Kinder haben dieses Verständnis noch nicht. Wo soll es denn auch herkommen? 

Dein innerer Kritiker – Der Beschützer

In der Kindheit dient der Kritiker – der übrigens letztlich auch nur die innere Stimme der Eltern ist, die sie wiederum von ihren Eltern beigebracht bekommen haben – hauptsächlich dem Beschützen. Er soll dich vor Dummheiten warnen, dich bewahren Risiken einzugehen, bei denen du dich verletzen könntest oder schlimmeres. Einen Teil dieser Aufgabe würde allerdings ohnehin dein Instinkt übernehmen. Nämlich dein Beschützerinstinkt. Schon in die Wiege gelegt, begreifen selbst die Kleinsten den Sinn von Schutz, beschützt werden und später einmal andere beschützen. 

Allerdings sieht sich dein innerer Kritiker noch viel mehr in der Verantwortung. Er warnt vor allem Möglichen und leider neigen Kinder dazu, die ursprünglich angedachte Lehre in ihrem noch eingeschränkten Wesen zu verfälschen. Aus der Warnung vor Wespen, weil diese stechen, wird zum Beispiel eine grundsätzliche Panik vor allem, was fliegen kann. Und sei es eine Obstfliege. Aus der Kritik, das Zimmer endlich aufzuräumen, wird womöglich ein Putzfimmel. 

Die innere Stimme hat sich eingenistet. Und sie wird vom Beschützer zum Diktator, der nur sieht, was alles Dramatisches passieren könnte, was du falsch machst und was du gefälligst zu lassen hast. Er findet immer etwas an dir auszusetzen. Nach und nach vermittelt dir das ein Gefühl minderwertig und unzureichend zu sein. Bis hin ins Erwachsenenalter tragen wir solche Komplexe in uns. Aus dem einstigen Schutz ist ein Gefängnis geworden. 

Dein innerer Kritiker – dein Freund

Eltern, die es gut mit ihren Kindern meinen, bieten ihnen natürlich auch positive Kritik und Lob an. „Das hast du toll gemacht, mach das doch nochmal.“, „Noch ein Löffelchen für den Papa…“, „Ein so großes Kind kann das doch bestimmt schon alleine“: In jeder womöglich gut gemeinten Förderungsmaßnahme steckt wieder Kritik. Nie ist es gut genug, es könnte immer noch ein bisschen besser sein. Als Motivation stellen uns unser Eltern den inneren Kritiker als Freund vor. „Schau mal, wie das der andere Junge macht.“ oder „Teile dein Spielzeug doch mal mit den anderen Kindern“. 

Was bleibt ist das Gewissen. Nie kannst du es ihm recht machen. Nicht einmal als Erwachsener. Kein Wunder, dass man immer nur vom schlechten Gewissen spricht. Wer redet schon über ein gutes Gewissen? In deinem Inneren werden hauptsächlich Fehler vorausgesetzt und kritisiert. Der Freund entpuppt sich als Foltermeister deines Beschützer-Gefängnisses. 

Wenn das Selbstwertgefühl gestört, statt aufgebaut wird

Auch unsere Emotionen, Wahrnehmungen und Interpretationen durchlaufen mehrere Entwicklungsphasen. Im Idealfall baut sich ein solides Selbstwertgefühl auf, das dich bestätigt, bei dem was du tust, wie du denkst und wer du bist. 

Der innere Kritiker kann diesen Prozess jedoch stören, obgleich er ihn eigentlich fördern sollte. Doch sind Selbstvorwürfe wirklich hilfreich? Verhindert ein schlechtes Gewissen, dass du den Fehler wiederholst? Macht das Gefühl, versagt zu haben, einen besseren Menschen aus dir? Oder lässt dich dein eigener Eindruck nicht liebenswert zu sein, anderen Menschen liebenswerter erscheinen? 

Die Antwort lautet schlicht und einfach: Nein. Diese Form der Kritik bremst dich extrem aus. Rückblickend betrachtet, siehst du da eher deine Erfolge der vergangenen Jahre oder eher deine Fehler? Zweifelsohne hast du von beiden etwas geschafft. Aber haften bleibt der Eindruck, es wäre alles nicht gut genug. 

Die Folge sind zum Teil schlechte Angewohnheiten, wie Essstörungen, Rauchen, Lethargie oder Untreue. Alles, was dich für einen Moment aus diesem Kreislauf ausbrechen lässt. Momente, in denen du deinen inneren Kritiker auf stumm stellst und dich dafür erst recht daneben benimmst, um all den angestauten Frust kurzweilig zu kompensieren. Doch was macht das aus deinen Selbstwertgefühl? Es wird wohl kaum besser. 

Dein innerer Kritiker ist ein Teil von dir

Fest in deiner Erziehung verankert, werden dich all die Stimmen immer begleiten. Und ja, sie meinen es nur gut mit dir. Und ja, viele davon sind nützlich und bewahren dich vor Schaden. Das heißt aber nicht, dass du dich von ihnen beherrschen lassen musst. Du bist weder klein noch schwach, weder unzulänglich noch nicht liebenswert. Sag das deinem inneren Kritiker ruhig mal ganz deutlich. 

Wo Stimmen sind, kann man auch einen Dialog starten. Stelle dich schon mal darauf ein, dass dein innerer Kritiker dir widersprechen wird. Das liegt eben in seiner Natur. Behandle ihn aber nicht wie einen Gleichgesinnten. Du bist jetzt erwachsen, er ist ein Relikt aus deiner Kindheit. Du kannst heute anders mit ihm umgehen, sprechen, handeln.

Entwaffne die Stimme in dir

Zunächst einmal muss du deinen Foltermeister entwaffnen, sprich dein schlechtes Gewissen erleichtern. Das ist gar nicht so schwer, wie du vielleicht denkst. Betrachte die Stimme nicht als deinen Gegner, sondern als das, was sie ursprünglich einmal war: Deine besorgten Eltern, die nur dein Bestes wollten. Wenn du selbst Kinder hast, verstehst du das natürlich besser. 

Wenn dich also das schlechte Gewissen plagt, sprich dagegen an: „Ich bin jetzt erwachsen und übernehme die Konsequenzen für mein Handeln. Ich weiß, was ich tue.“ Habe aber auch Verständnis, dass sich jemand Sorgen um dich macht. Fasse es als Schmeichelei auf. Nicht jeder wird so geliebt. Auch wenn dich diese Übervorsorge einengt, hilft sie dir, dich in schweren Zeiten nicht allein gelassen zu fühlen. 

Oftmals ist es angebracht, erst die Ursache der ganzen Verbote, Gebote und Kritik zu erforschen. Sprich dich doch mal mit deinen Eltern aus, warum sie manche Regeln für derart wichtig hielten, was sie sich erhofft haben und wie sie deine Entwicklung heute einschätzen würden. Sind sie am Ende gar stolz auf dich? Wozu dann ein schlechtes Gewissen haben? 

Nutze den inneren Kritiker

Saniere dein Gefängnis von Grund auf. Betrachte es nicht länger als Mauerwerk, das dich einsperrt, sondern als Schutzwall für deine Zufriedenheit. Woher soll auf einmal die Zufriedenheit kommen? Klingt einfach, denn sie ist längst in dir. Zwischen all den Stimmen. Wenn du lernst die Gebote, Verbote und Kritiken neu zu interpretieren, wirst du sie auch anders empfinden. Dein innerer Kritiker ist dann nur noch ein Teil von dir, ein Leitfaden, der im Zweifelsfall wie eine Signalleuchte blinkt und dich aufmerksam werden lässt. 

Du kannst den inneren Kritiker demnach wunderbar für deine Achtsamkeit nutzen, für Empathie anderen gegenüber, die sich vielleicht noch eingesperrt und gefoltert fühlen, aber auch für dein neues Selbstwertgefühl. In dir ist jemand, der für dich da ist und auf dich aufpasst. Er gibt dir Hinweise, keine Befehle. Du musst sie nicht wie eine Anweisung befolgen, sondern kannst sie je nach Bedarf in deine Entscheidungen einfließen lassen. 

Die Stimmen umstimmen?

Um die Oberhand über das Stimmengewirr zu gewinnen, musst du nicht lautstark dagegen wettern. Gehe auf jede einzelnen bewusst ein. Manche haben absolut recht, andere übertreiben maßlos. Das kann sich zudem je nach Situation ändern. Dein Gefühlszustand setzt sich sehr komplex aus Gedanken, äußeren Einflüssen und eben jenen inneren Stimmen zusammen. Der Weg zur Zufriedenheit führt über die positive Auflösung deiner Interpretationen. 

Vielleicht hast du selber Erfahrungen gemacht, wie du mit deinem inneren Kritiker umgehen kannst. Dann würde ich mich freuen, wenn du vielleicht diese beiden Übungen mit eigenen Tipps ergänzt. Alles Gute für Dich, Stefan

Ändere deine Wahrnehmung

  • Übung 1:
    Schreib doch mal ausführlich auf, was dein innerer Kritiker tatsächlich zu sagen hat. Auch wenn es dir seltsam vorkommt – aber der Blick auf Geschriebenes verleiht dir ein wenig Abstand. Du kannst deine Notizen zum Beispiel nach ein paar Tagen erneut durchgehen, wenn sich deine Stimmung beruhigt hat. Außerdem nimmt nicht jede Kritik in dir Form an. Wenn du daraus aber Sätze formulierst, bringst du zugleich Struktur in das Durcheinander und kannst einzelne Stimmen besser differenzieren. Parallel könntest du besonders eindringliche Muster markieren. Hier musst du bestimmt die meiste Energie aufwenden, deine Wahrnehmung zu ändern. 
  • Übung 2:
    Überprüfe deine Wahrnehmung. Versuche die Kritik zu entschärfen, zum Beispiel, indem du ihr aus tiefster Überzeugung widersprichst oder sie wenigstens neu interpretierst. Du kannst dir auch helfen lassen, von einer Person deines Vertrauens oder einer vielleicht auch völlig neutralen Person (was dir lieber ist). Wandle all deine negative Gedanken in positive Glaubenssätze um, die du dir immer wieder vorsagst und so deinen inneren Kritiker umstimmst. Am Ende wirst du so zufrieden sein, wie du es immer wolltest. 

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