Erinnern Sie sich manchmal unmittelbar nach den Nachrichten nicht mal mehr an den Wetterbericht? Meinen Sie, ihn einfach nicht gehört zu haben? Solche Situationen treten oft auf und sind typische Fälle von „jetzt einfach mal nichts hören“.

Lauschen wir Gesprächen unter Bekannten oder Familienmitgliedern, meinen wir zwar, unsere Konzentration voll und ganz auf das Erzählte gelenkt zu haben. Doch wie oft passiert es, dass Sie ihren Partner etwa nach einem bestimmten Termin fragen und dieser dann eher erzürnt erwidert: „Das habe ich Dir doch schon gesagt!“ Worauf Sie erwidern, dass das nicht sein könne und sich der Partner garantiert täusche. Womit auch schon die Grundlage für einen schief hängenden Haussegen geschaffen ist.

Abgelenkt?

Ich gebe zu, dass ich nicht jedes Gespräch gleichermaßen interessant finde. Vor allem wenn es um den üblichen Zickenkrieg in der Klasse meiner Tochter geht. Erschwert wird das Ganze, weil alle Beteiligten stets gleich heißen: Verona oder Lena. Alle Bekannten meiner Tochter scheinen so zu heißen. Welche Verona oder Lena gerade gemeint ist, erschließt sich mir nicht. Gepaart mit dem typischen Teenagerschnellsprechen versteht man da schon mal überhaupt nichts mehr. Das Gehirn ist überfordert und schaltet ab. Das bisher wahrgenommene wird in die Rubrik unwichtig abgelegt und wird verworfen. Die restliche Erzählung wird nur noch als Bla Bla Bla registriert. Währenddessen beginne ich meinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Wie etwa, was heute noch zu erledigen ist. Da kann es schon mal passieren, dass man gar nicht mitbekommt, wenn das Gesprächsthema wechselt und man direkt angesprochen wird.

Manche unter uns kennen sicher auch den Zustand, wenn man zu Feierabend aus dem Büro geht. Das ist jene Zeit, an der unser Verstand nicht mehr auf vollen Touren laufen muss. Er schaltet auf Leerlauf und versucht sich zu regenerieren. Schalten wir während dieser Phase etwa das Autoradio an, werden wir kaum etwas davon mitbekommen, was gerade aus dem Lautsprecher tönt. Wir registrieren vielleicht, ob gerade gesprochen wird oder Musik spielt. Weitere Details werden wir aber kaum wahrnehmen. Während dieser Phase geistiger Erschöpfung arbeitet unsere akustische Wahrnehmung auf Sparflamme.

Gerne drängen wir das Gehörte auch in den Hintergrund, wenn wir unseren Gedanken nachhängen. Etwa, weil uns gerade Details zur Urlaubsplanung eingefallen sind oder uns bevorstehende Arbeiten beschäftigen. Ab und an ist es aber auch ein Ohrwurm, der unsere gesamte geistige Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Sei es ein Witz eines Kollegen oder ein Song, der uns gerade deshalb nicht aus dem Kopf geht, weil wir ihn so unglaublich abscheulich finden.

Tagesverfassung

Hören hat mit Konzentration zu tun. Womit es nicht um das bloße hören mit den Ohren, sondern primär auf die Verarbeitung der wahrgenommenen Töne und Geräusche im Gehirn geht. Wenig oder mal nichts hören ist somit keine Folge eines schlechten Gehörs.

Wie viel oder wenig wir hören, wird von der Tagesverfassung beeinflusst. Sind wir gut drauf und ausgeruht, werden wir unsere Umwelt intensiver akustisch wahrnehmen, als wenn der Körper, etwa nachdem wir schlecht geschlafen haben, bereits auf Reserve läuft. In solchen Fällen wird sich das Gehör nur auf das Wesentliche konzentrieren oder einfach nur einen Teil der empfangenen Informationen verarbeiten. Womit wir plötzlich unbewusst unser Augenmerk auf Banales lenken. Einfach, weil das Zuhören dabei weniger geistige Arbeit erfordert, als wenn wir einem Gespräch folgen.

Akustisch wegträumen

Sich dem akustischen Alltag zu entziehen kann auch ganz bewusst erfolgen. Genauso, wie wir aufgrund mangelnder Konzentration das Eine oder Andere überhören, können wir uns auch verschiedene Eindrücke so sehr aus unseren Erinnerungen holen, dass sie für uns quasi wieder hörbar werden. Dazu gehören z.B. spezielle Musikstücke, die wir mit verschiedene Situationen oder Orte verbinden. Diese akustischen Erlebnisse begegnen uns nicht nur, wenn wir etwa an diese Orte denken. Sie werden für uns auch hörbar, wenn wir uns bei ihnen befinden.

 

„Geistige Entspannung, nicht immer richtig zuhören müssen und einfach mal eine Weile abzuschalten, braucht jeder Mensch.“

 

Akustisch wegträumen kann auch recht entspannende Momente mit sich bringen. Warum soll ich mir im Wartezimmer der Arztpraxis die Krankengeschichten der anderen Patienten anhören? Stattdessen kann es so angenehm sein, mal total abzuschalten und einfach nur aus dem Fenster zu sehen. Ganz für sich sein. Sich einfach der inneren Ruhe hingeben. Diese Fähigkeit hatte ich mir einst während meiner Schulzeit von einem Klassenkollegen abgeschaut. Der machte stets einen glücklichen Eindruck. Er reagierte nur, wenn es ihm gerade passte. Wurde er vom Lehrer zur Tafel gebeten, reagierte er einfach nicht. Er lächelte den Lehrer nur an, bis dieser resignierte und sich ein anderes Opfer aus der Klasse suchte. Vielleicht war dieses „ich höre nur, was ich will“ das Geheimnis des Erfolgs meines Schulkollegen. Denn an seinen Noten war nie etwas auszusetzen.

Weghören

Unsere Umwelt besteht aus einer Unzahl an Geräuschen, von denen es uns schwer fällt, sie so zu verarbeiten, dass wir jedes wahrgenommene Detail korrekt erkennen und zuordnen können. Deshalb konzentrieren wir uns auf einzelnen Quellen. So werden etwa die Stimmen einzelner Personen innerhalb einer sprechenden Gruppe für uns verständlich.

Auf dieselbe Weise können wir dasselbe Musikstück immer wieder aufs Neue entdecken. Etwa, indem wir uns nur auf das Klavier oder die Gitarren konzentrieren. So wird für uns manches hörbar, was wir beim Normalen zuhören überhören, wie einzelne falsche Töne oder verpasste Einsätze.

Akustisch ausspannen

Wir alle wissen, dass Schall aller Art krank machen kann. Dauerlärm von der nahen Autobahn ist da genauso inbegriffen wie das nervige Üben an der Geige des Nachbarskindes, das scheinbar so gar kein Talent für das Instrument zu besitzen scheint. Diese Geräusche lassen sich zwar nicht abstellen, wir können aber lernen, sie ganz gezielt zu überhören. Etwa, indem wir unsere Aufmerksamkeit gezielt auf andere, angenehme Töne, wie etwa die eigene Lieblingsmusik, lenken. Indem wir uns auf sie konzentrieren, vergessen wir in der Regel darauf wie von selbst, den störenden Lärm wahrzunehmen.

Diese Idee stammt aus der Tinnitus-Bekämpfung. Sie besagt, dass das Dauerpfeifen in den Ohren als umso lauter empfunden wird, je leiser die Umgebung ist. Musik oder dergleichen lässt Betroffene den Tinnitus vergessen und so hört man ihn nicht mehr, obwohl er natürlich weiter da ist.

Jetzt hör ich mal nix

„Jetzt hör ich mal nix“ kann auch eine nette Ausrede sein, um unangenehmen Fragen oder Gesprächen aus dem Weg zu gehen. Dazu genügt es, auf das Gegenüber einfach nicht zu reagieren. Meist versteht dieses die Peinlichkeit der Frage und schämt sich, diese überhaupt gestellt zu haben. Womit auch ein penetrantes nachbohren ausbleibt. „Jetzt hör ich mal nix“ bietet sich auch für Telefonate an. Etwa, wenn man von einem ungebetenen Anrufer erwischt wird. So ein Gespräch lässt sich mit einem fragenden „Hallo?“ und einem verwunderten „Da meldet sich ja gar niemand“, beenden. Ganz einfach.

Die Familie hat sich übrigens daran gewöhnt, dass ich nicht immer alles höre. Inzwischen weiß sie, dass da, zumindest bei mir, keine böse Absicht dahinter steckt. Sich geistig entspannen, mal eine Weile abzuschalten, schadet niemanden. Und ich spüre, dass ich das auch brauche. In solchen Situationen schadet es nicht, das auch seine Nächsten wissen zu lassen. Die stellen sich schon darauf ein.

Geistige Entspannung, mal weniger hören als üblich, braucht schließlich jeder Mensch. Uns unterscheidet nur, dass wir nicht gleichzeitig abschalten können. Und so entstehen eben die Situationen: „Hast Du wieder nicht gehört, was ich Dir gesagt habe?“

 

Dieser Artikel stammt aus dem AUSZEIT-Magazin, das noch viele weitere tolle Themen für Euch bereithält.

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Bildquellen: Photo by Brooke Cagle on Unsplash