Unser Alltag wird immer schnelllebiger, die Gesellschaft immer einsamer. Sie scheucht uns von einem Termin zum nächsten. Leistungsdruck, Lernbereitschaft, Finanzierungen, Konsum – wir sind gefangen in einem Hamsterrad, in dem wir zu funktionieren haben. Auch wenn wir alle drin stecken, hetzt sich jeder für sich alleine ab. Immer mehr Menschen empfinden selbst Gemeinschaft als einsame Gesellschaft.

Drängt uns die Gesellschaft in die Isolation?

Die Überreizung durch Massenmedien wird gerne als Argument genommen, warum viele Menschen unter Burnout und psychischen Problemen wie ADHS oder Depressionen leiden. In Wahrheit ist das ganze globale System darauf geeicht, Menschen als Ressourcen zu kalkulieren und entsprechend einzusetzen. Wer nicht mehr mithält, wird zurück gelassen.

Der Trend zur einsamen Gesellschaft beginnt bei der schulischen Ausbildung, über die Karriereleiter und reicht sogar bis weit ins Rentenalter. Schon mit einem Jahr ist der Kindergarten angesagt, weil die Eltern wieder arbeiten müssen. Ob die kindliche Entwicklung bis dahin genug ausgereift ist, prüft keiner individuell nach. Vertrauens- und Bindungsprobleme sowie starke Ängste entstehen bereits in diesem zarten Alter, werden jedoch erst viel später erkannt. Zum Beispiel dann wenn die Kinder in der Schule zu Außenseitern werden, Essstörungen bekommen und die Noten miserabel sind. Der Leistungsdruck ist selbst in diesem Stadium bereits enorm ausgeprägt. Im Berufsleben setzten sich diese Anforderungen fort. Überstunden, niedrige Gehälter, gekürzter Urlaub etc. Wo bleibt da noch die Kraft, sich um die Familie zu kümmern, soziale Strukturen aufzubauen oder sich wenigstens Zeit für sich selbst zu nehmen?

Einsame Gesellschaft: Sind wir alle nur noch Individualisten?

Ein besonders tückischer Trend in unserer einsamen Gesellschaft von Individualisten sind die vermeintlich sozial engagierten Unternehmen, die Sportplätze, Lounges und Kantinen für ihre Mitarbeiter bereit stellen – damit diese ja nicht das Firmengelände verlassen. Weder physisch noch psychisch. Immer mit den Gedanken bei der Arbeit. Damit wird die Vereinsamung in einer Gemeinschaft weiter gefördert, eine einsame Gesellschaft entsteht. Natürliche Lichtquellen, hohe Fenster, Zimmerpflanzen und Home Office haben eher Seltenheitswert.

Von den vierundzwanzig Stunden am Tag bist du rund zwei Drittel einsam. Mit deinen Gedanken, die schon den nächsten Termin vorbereiten, To-do-Listen durchgehen und Einkäufe planen. Aber auch mit deinen Gefühlen und Sehnsüchten, denn dafür scheint kein Platz mehr zu sein, zwischen Medien, die dir deine Meinung bilden, Gesundheitsmaschinerien, die dich künstlich wach und aktiv halten und irgendwo war ja auch noch die Familie, die ebenfalls Ansprüche stellt.

Wie kannst du deinen Lebensrhythmus entschleunigen?

Entschleunigung – ebenfalls es Trendwort, etwa so wie Detox, Achtsamkeit und Mindstyle. In jedem steckt eine große Portion Wahrheit, nur leider wird diese zum Teil auch für weitere Stress-Provokationen missbraucht. Du musst dein Leben nicht entschleunigen, um wieder mehr Energie zu haben, aber womöglich könnte es dir helfen. Einen Versuch ist es allemal wert. Wichtig ist nur, dass du lernst, richtig damit umzugehen.

Ein Beispiel: Der Großteil der Bevölkerung lebt alleine, getrennt, geschieden oder als frisch gebackener Single. Ein Grund für die mangelnde Beziehungsbereitschaft ist das Fehlen einer soliden Streitkultur. Wir erfahren diese nicht mehr als aktive Lebensweise, sondern bereits beim ersten Anzeichen von Problemen in der Beziehung wird das Handtuch geworfen. Lieber allein bleiben, anstatt sich mit Konflikten herumärgern. Das Motto: Kein Stress. In diesem Fall führt die Entschleunigen, sprich Konfliktvermeidung, völlig am Ziel vorbei und du bist am Ende einsamer denn je.

Einsame Gesellschaft

Es gibt einfach zu viele Alternativen, die es dir vermeintlich leichter machen. Eine Scheidung war früher undenkbar, heute ist sie binnen weniger Tage umgesetzt. Du wirst dafür auch nicht von Außenstehenden verurteilt. Du willst keine Kinder haben, weil du für „sowas“ keine Zeit hast und lieber auf Reisen gehst oder auf Partys? Bedenke die Worte des deutschen Schriftstellers Hans Kaspar: 

„Die Straße des geringsten Widerstandes ist nur am Anfang asphaltiert.“

 

Bevor du dein Leben endgültig derart entschleunigst, bis du wieder im Gleichtakt im Hamsterrad Runden drehst, probiere folgende Übung:

Stell dir vor, du bist alt. Also so richtig alt. Dein Körper ist müde und hat keine Kraft mehr. Du kannst kaum aufstehen, geschweige denn laufen. Ab und zu kommt eine Pflegekraft vorbei, bringt dich auf Toilette und wäscht dich. Für mehr bleibt ihr keine Zeit. Danach bist du wieder auf dich gestellt. Keine Arbeit mehr, keine To-dos, keine Partys.

Wage einen klaren Rückblick auf dein Leben. Bereust du es, ein Leben ohne Kinder gelebt zu haben? Kein unbeschwertes Lachen oder ein herzerwärmendes „Mama“ oder „Papa“, das dir galt. Keine Wehwehchen zum Wegpusten, keine Schlafmelodien oder ersten Schritte. Keine Kinder, die dich jetzt besuchen würden, um dir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Kein Partner, der bis zum Lebensabend an deiner Seite steht und mit dem du auch mal so richtig nach Herzenslust streiten kannst.

Wenn du zurück blickst, was siehst du stattdessen? Fühlst du dich erfüllt oder eher einsam?

Noch kannst du etwas daran ändern und aus der Einsamkeit der Gesellschaft aussteigen und deinen wahren Individualismus entdecken: Menschen und Aufgaben, die dir gut tun und bei denen du deinen inneren Frieden findest.


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Für die Zeit mit dir selbst:

Bildquellen: Maryna Khomenko